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Die WahrheitLesen ist doof

Nur Mut zur Lücke: Unbelesenheit ist keine Schande. Denn ohne Lektüre lebt es sich, seien wir ganz ehrlich, wesentlich stressfreier.

Achtung: Lesen kann ihrem Wohlbefinden schaden. Bild: Natasha Pisarenko/AP

Tanzmusik, Tischfeuerwerk, eine weitere Runde berauschender Getränke – es gibt vielerlei Möglichkeiten, eine lahmende Abendgesellschaft zu beflügeln oder endgültig auseinanderzupeitschen. In David Lodges Campus-Roman „Changing Places“ bringt der englische Gastprofessor Philip Swallow seinen Kollegen aus einer literaturwissenschaftlichen Fakultät in Kalifornien ein selbstausgedachtes Spiel namens „Humiliation“ bei.

Ziel des Spiels ist, sich durch ein öffentliches Bekenntnis zur eigenen Unbelesenheit kräftig zu blamieren. Dazu nennt jeder Spieler pro Runde einen Buchklassiker, dessen Lektüre er im Laufe seines Lebens verabsäumt hat, von dem er aber getrost annehmen kann, dass die anderen ihn gelesen haben, und streicht für jeden Mitspieler, auf den dies zutrifft, einen Punkt ein.

Am Schluss gewinnt bei Lodge also der Mutige, der sich intellektuell möglichst umfassend entblößt und die beschämendsten Bildungslücken offenbart. Als ein unangenehmer Ehrgeizling nach längerem Zögern damit auftrumpft, Shakespeares „Hamlet“ nicht gelesen zu haben, gerät der feiernde Kollegenkreis in Aufruhr, ja helle Verzückung. Dem armen Irren wird zwar feixend der Sieg zugestanden, doch schon am nächsten Tag spürt er, wie in den Fluren und Hörsälen über ihn getuschelt wird. Kurz darauf verweigert man ihm die ersehnte Festanstellung, und seine Karriere ist vorerst beendet.

Nun zu mir: „Hamlet“ musste ich in der Schule lesen, aber ansonsten würde ich dieses Spiel jederzeit mühelos gewinnen. Nennen Sie mir einen Klassiker der Literatur, am besten der deutschsprachigen, und ich habe ihn nicht gelesen.

Bücher hassen

Nicht „Der Vorleser“. Nicht „Die unendliche Geschichte“. Noch nicht einmal „Die Vermessung der Welt“. Andererseits ist es natürlich fraglich, ob man mit Bekenntnissen dieser Art – „Changing Places“ erschien 1975 – überhaupt noch Furore machen kann. Man kann ja heute praktisch alles äußern. Dass man Tiere sexuell anziehend findet und Hitler vielleicht nicht als Politiker, aber als Mensch faszinierend. Dass man das Schicksal der Dritten Welt alles in allem für verdient hält und Krawatten, die weniger als 100 Euro kosten, für stillos und inakzeptabel.

Man darf inzwischen gewiss auch in aller Öffentlichkeit sagen, dass man nicht gern liest. Dass man Bücher regelrecht hasst. Da flippen sie dann vermutlich nur noch auf der Buchmessenparty von Rowohlt ein wenig drüber aus oder im Feuilleton der FAZ. Alle anderen kennen die Wahrheit und sehen ihr offen ins Gesicht: Die meisten Bücher sind bereits Mist, bevor man nur einen einzigen Blick hineingeworfen hat, und der Rest erledigt sich auf den ersten zwanzig Seiten nahezu immer von selbst.

Bis man mal eine taugliche Lektüre gefunden hat, können Jahre vergehen. Außerdem bedeutet die Entscheidung für ein bestimmtes Buch immer auch die Zurückweisung von Millionen anderer. Nicht jeder wird mit diesem Druck fertig, manche drohen daran zu zerbrechen, und in der Zwischenzeit ist man ohne Lesen eigentlich auch ganz gut zurechtgekommen.

Die einzigen Menschen, die das nicht einsehen wollen und einigermaßen verstockt darauf beharren, dass man gern zu lesen hat, sind die Autoren. Wie unwillig, ja verschnupft sie reagieren, wenn man ihnen sagt, dass man nicht so gern liest! Sondern lieber eine gute Fernsehsendung anschaut, zum Beispiel eine dieser tollen amerikanischen Serien wie „The Sopranos“ oder „Breaking Bad“. Wenn ich mich nicht täusche, werden diese narrativen Meisterwerke in Kürze die Rolle des „Hamlet“ einnehmen, falls man eventuell mal wieder „Humiliation“ spielen will – dann selbstverständlich mit TV-Serien – statt mit Buchklassikern.

Einem besonders vernagelten Autor und Leseapologeten habe ich in einer Theaterbar in Münster gesagt, dass ich in dieser Lage speziell seine Bücher ganz besonders ungern lese. Da war er gleich total beleidigt, statt sich meine Argumente einmal sachlich zu Gemüte zu führen. Ich dachte damals nur: Das machen Bücher also aus Menschen – völlig selbstbezogene, selbstverliebte Zombies!

Und darum lese ich nicht gern. Und Sie bald hoffentlich auch nicht mehr.

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5 Kommentare

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  • "Hamlet" als amerikanische Serie heißt übrigens "Sons Of Anarchy".

  • Anscheinend haben derart viele Leser das Credo "Lesen ist doof" für sich entdeckt und lesen mit solch einer Behaarlichkeit nicht, dass sie weder den Titanic Redakteur MARK-STEFAN TIETZE (danke, copy and paste) kennen, noch einen satirischen Text als solchen

     

    Besonders gefällt mir die Auswahl der "Klassiker" , man sollte sie auf einen Schulbuchkanon packen, allein um vor sich hinkichernd in die Gesichter der mutmaßlichen Didaktiker zu blicken, die dann ernst und mit Würde alles abnicken.

  • da wird mit der scham gearbeitet, leider nicht ganz so reflektiv, dass es wirklich gut ausgeht.

     

    wirklichje intellktuelle kenen die macht und den sozialisationseffekt, deutlicher anpassungseffekt, normalsierungseffkt der "vorstellung des tades der anderen" auSpinpzasd affektenmlehre, deren lektüre sich an dieser stelle hochgaradig auszahlte!!, und wappnen sich dagegen als

    einschränkung ihre seelenkraft und der erkenntnissfähigkeit.

     

    als "pfad des tadels" ist es sogar eineausgereifte psychotechnik des sufismus, allerdings wird da "anonym" oder "privat" betrieben!!,

    weil der normalsierumngseffekt ein sozialer MACHTEFFEKT IST, MIKROPOLITIK IM SINNE FOUCAULTS!!.

     

    man solnur wirklich argumente brauchen, duie man kennt,. da wird dadurcfh gelöst, das nur einzelzitate aus den meisten werken benutzt werden, so das nietzsches aphorismenstil der gängige informellenm diskussionen ist.

    die argumentemis dabn2hic et nunnc" herbeigeschlept werden oder auf dser "selbstverständlichkeit" aufgebaut werden.

     

    das wird durch mathematsierte theorien gänzlich anders,

    obwohl auch dort jeder satz

    als einzel wahrer satz bebutzt und zitiert werden kann.

  • Teil2

    Was ist denn nun Ihrer Meinung nach der Zweck derer? Die von Ihnen genannten Fernsehserien sind gut produziert. Sie haben eine Story. Aber bringen sie dem Betrachter etwas? Bilden sie? Machen sie die Welt zu einem besseren Ort? Bekämpfen sie Welthunger? Heilen sie AIDS? Ich möchte behaupten: auch nicht mehr als jedes Buch, für das man sich begeistern kann. Nämlich gar nicht. Wenn es um Unterhaltung geht, ist dies immer eine individuelle Entscheidung. Da kann man nichts als besser oder schlechter verallgemeinernd bewerten.

     

    Bloß haben Bücher noch den Vorteil, dass das Gehirn auf gänzlich andere Weise gefördert und gefordert wird, als beim Betrachten einer Fernsehserie. Denn dort bekommt man fertige Bilder mit fertigen Dialogen. Actionszenen oder passende Spannungsmusik sprechen die Urinstinkte, das typische "fight or flight"-Verhalten des vegetativen Nervensystems an. Bücher hingegen lassen den Leser seine eigenen Bilder entwerfen. Wenn man dort schwitzige Hände bekommt, dann nicht weil vor einem auf dem Bildschirm etwas explodiert, sondern weil im Kopf eintausend Bilder explodieren, die hudert mal spannender sind als alles, was sich ein Regisseur ausdenken kann - denn es ist auf die Person selber abgestimmt.

     

    Aber was tippe ich mir hier die Finger wund? Diese Argumente kennt jeder militante Nichtraucher ebenso gut, wie jeder Raucher schon mal den "Aber rauchen ist ungesund"-Spruch um die Ohren bekommen hat.

    Was mir wirklich sauer aufstößt, ist Ihr letzter Satz. "Und Sie bald hoffentlich auch nicht mehr."

     

    Denn das, lieber Autor, sollte noch immer jeder selber entscheiden können. Wer ein Problem damit hat schief angeschaut zu werden, weil er nicht liest (und sich deshalb zu einem ganzen Artikel genötigt fühlt!), darf im Gegenzug auch keine Leser schief anschauen. Ich habe selten einen so engstirnigen Artikel in einem Portal gelesen, dass sich selbst als "links" bezeichnet. Spricht für sich.

  • Teil 1

    Lieber Autor des Textes: Sie tun mir leid. Gewaltig.

    Natürlich muss man nicht lesen wollen. Aber Ihre "Argumente", derer Sie sich bedienen, um andere auch davon abzubringen (warum überhaupt? Darf nicht jeder selbst entscheiden, was er gerne tut?), sind einfach nur peinlich.

     

    "Bis man mal eine taugliche Lektüre gefunden hat, können Jahre vergehen."

    Das zeugt von einem ernst zu nehmenden Problem, das Sie dort haben. Nehmen Sie noch einen Abschnitt zuvor leich süffisant das durchaus leicht groteske Bild unserer Gesellschaft aufs Korn, outen Sie sich mit dieser Aussage als bestmöglich assimilierter Teil dessen. Generation "ich kann mich nicht entscheiden". Und sogar noch einen Schritt weiter ins Übel, denn bei Ihnen wird daraus ein: "Ich kann mich nicht entscheiden, ist mir aber auch egal, dann sag ich eben, dass ich das gar nicht brauche. Gibt ja auch noch Fernsehn."

     

    "Die meisten Bücher sind bereits Mist, bevor man nur einen einzigen Blick hineingeworfen hat, und der Rest erledigt sich auf den ersten zwanzig Seiten nahezu immer von selbst."

    Durchaus lässt sich nicht abstreiten, dass ein Großteil der heute geschriebenen Bücher reine Unterhaltungsliteratur sind. Warum auch nicht? Sie geben doch selber schon zu, dass die Klassiker nicht unbedingt die erquicklichste Lektüre ergeben. Da widersprechen Sie sich eben selber. Zum Einen drehen Sie den Büchern einen Strick daraus, dass sie "Mist" sind, zum Anderen beschweren Sie sich über Klassiker.

    Weiter noch ziehen Sie dafür den Vergleich zu Fernsehserien wie den Sopranos und Breaking Bad.