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Zoff um Wahlergebnis in AfghanistanJeder Streit um Zahlen ist müßig

Wahlmanipulationen gab es bei der Stichwahl ums Präsidentenamt gewiss. Jeder Kandidat kann damit Politik machen.

Präsidentschaftskandidat Abdullah Abdullah auf dem Weg zu einer Pressekonferenz in Kabul am Dienstag. Bild: ap

BERLIN taz | Eine knappe Woche nach der Stichwahl um das Präsidentenamt blickt Afghanistan wieder einmal in den politischen Abgrund. Fälschungsvorwürfe vo Abdullah Abdullah, einem der beiden Bewerber um die Nachfolge von Hamid Karsai, drohen den Gesamtprozess zu stoppen. Nachdem er am Dienstagabend die von der Wahlkommission genannte Wahlbeteiligung von etwa 7 Millionen als ein deutliches Zeichen der Manipulationen zu seinen Ungunsten bezeichnet hatte, zog er am Mittwoch seine Beobachter aus der Wahlkommission und von der Stimmauszählung ab und verlangte, diese auszusetzen.

Aus dem Lager Abdullahs kommen bereits erste Aufrufe zu Straßenprotesten. Dabei versucht sich der 2010 von Karsai gefeuerte Geheimdienstchef Amrullah Saleh an die Spitze zu setzen, der danach eine Grüne Bewegung gründete und sich als Oppositionspolitiker profilierte. Die Anklänge an die Massenproteste nach der manipulierten Präsidentenwahl 2009 im benachbarten Iran sind nicht zufällig.

Abdullah-Sprecher Mudschib-ur-Rahman Rahimi erklärte gegenüber der taz: „Gegenwärtig unternehmen wir legitime Schritte. Man kann die Zusammenarbeit mit jemandem suspendieren, bis derjenige die Forderungen erfüllt. Man kann auch zu Demonstrationen aufrufen, das ist verfassungsgemäß. Meine Angst ist nur, dass man es dann nicht mehr kontrollieren kann.“ Das könnte in Afghanistan als verdeckter Aufruf zur Gewalt gelesen werden.

Ursache für Abdullahs Ärger ist der bisherige Wahlverlauf. Nach dem ersten Wahlgang am 5. April lag er mit 45,0 Prozent noch klar vor seinem Kontrahenten, dem früheren Weltbankangestellten Aschraf Ghani, der auf 31,6 Prozent kam. Nachdem die ausgeschiedenen Nächstplatzierten sich seinem Lager angeschlossen hatten, wähnte Abdullah den Sieg bereits sicher.

Stimmenkauf ist nicht unüblich

Ghani allerdings fuhr in den sechs Wochen zwischen den Wahlgängen eine vehemente Mobilisierungskampagne. Er attackierte Abdullah wegen dessen Mudschaheddin-Vergangenheit und lastete ihm politische Verantwortung für massive Menschenrechtsverstöße in dieser Zeit an; gleichzeitig allerdings kürte Ghani einen der berüchtigtsten Warlords zu seinem Vizepräsidentenkandidaten.

Vor allem mobilisierte Ghani unter der sonst eher wahlabstinenten paschtunischen Stammesbevölkerung. Mullahs und Stammesälteste überredeten sogar lokale Taliban-Kommandanten, die Wahlen nicht zu behindern, damit wieder ein Paschtune Präsident werde. Allerdings waren in vielen Gebieten kaum Beobachter zugegen, sodass ein vollständiges Bild vom Wahltag bisher nicht vorliegt. Gerade in unsicheren Gebieten wurde sicherlich manipuliert. Dort sind zwar die Distriktzentren mit den Wahllokalen unter Regierungskontrolle, aber nur unter Gefahren zugänglich.

Berichte über massiven Stimmenkauf kommen auch aus Nordafghanistan, unter anderem von einem Lieblingspartner der Bundeswehr, Gouverneur Atta Muhammad in Masar-i-Scharif, einem Abdullah-Unterstützer. Ghani erklärt, Abdullahs Boykott verstieße gegen frühere Abmachungen. Immerhin habe Abdullah der Verteilung der Wahlzettel zugestimmt, deshalb könne er jetzt nicht argumentieren, es seien zu viele gewesen.

All das war absehbar. In Afghanistan gibt es keine verlässlichen Bevölkerungszahlen, kein einheitliches Wahlregister, und die Zahl der verteilten Wählerausweise ist um 10 Millionen höher als die angenommene maximale Zahl an Wählern von 13,5 Millionen. Jeder Streit über Zahlen ist deshalb müßig und kann auf Dauer zur Eskalation führen.

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