LESERINNENBRIEFE :
Gescheiterte Mittelschicht
■ betr.: „Wieder nur ein deutscher Film“, „So wären die Deutschen gern gewesen“, taz vom 20. und 22. 3. 13
Zweimal ziemlich daneben: die Rezensionen von Jan Feddersen und Ulrich Herbert über den Film „Unsere Mütter, unsere Väter“ in der taz. Der Erstere total daneben, der in seiner bornierten Blindheit den Film gar nicht verstehen kann und will, der Letztere etwas daneben, da er eine andere Messlatte, eine andere Zielrichtung, an den Film anlegt, als dieser eigentlich verfolgt. Feddersen behauptet, dass der Film „nicht wirklich berührt“, dass „er scheitert“, „es nicht bringt“, dass er „Feigheit vor dem Stoff“ dokumentiert, man ihn deshalb kaum „ertragen kann“ und ihn somit in die „filmästhetische Sondermülldeponie Made in Germany“ werfen muss. Doch kann Feddersen aus seinem etwas simplen Blickwinkel von unterhalb der Gürtellinie (gleich als Einstieg: „Ach so fickten Nazis?“) kaum sehen, was weiter oben in den Köpfen vor sich geht, kann die einfühlsam prozesshafte und schrittweise Verstrickung der Protagonisten in die Naziideologie und die Gräuel des Krieges nicht verstehen und würdigen.
Auch die Sichtweise Herberts geht an der zentralen Botschaft des Filmes vorbei. Mit dem ironisierenden Titel „So wären die Deutschen gern gewesen“ und seiner Kritik daran, wenig von der Jubelbegeisterung der Deutschen für Hitler zu zeigen, verfehlt er den Blick auf die Leistung des Films, nämlich mit Menschen wie Du und ich, die Frage anzustoßen: „Wie habe beziehungsweise wie hätte ich damals in der realen gesellschaftlichen und politischen Situation gehandelt?“
In den fünf Freunden des Filmes, ihren Bedürfnissen nach „Leben“ (Tanzen, Liebe, Freundschaft), in denen der Zwiespalt zwischen nationalsozialistischer Ideologie (deutsche Überlegenheitsideologie, Akzeptanz der Idee „die Juden müssen weg“, Töten als Mittel zum Zweck usw.) und humanen zivilisierten Werten (Hilfsbereitschaft, kulturelle Offenheit, Pflichterfüllung, Zuverlässigkeit, Zivilcourage) aufbricht, spiegelt sich der gescheiterte Versuch, zumindest einer kultivierten Mittelschicht, im Sog der grausamen Ereignisse die Balance zwischen den Gegensätzen zu erhalten. Wenn dem aus militärischer Gehorsamspflicht zu erschießenden russischen Kommissar noch eine Zigarette gleichsam als Entschuldigung für die folgende Grausamkeit angeboten wird, so spiegelt dies genau diesen Zwiespalt zwischen „Kriegspflicht“ und humaner Grundgesinnung.
Leider kommt dieser Film erst jetzt, wo meine Eltern und Großeltern (NSDAP-Mitglieder aus angeblich beruflicher Notwendigkeit, Wehrmachtsoffiziere, BDM-Führerinnen, aber auch aktive Christen) bereits tot sind. Damals waren sie unfähig, meine bohrenden Fragen nach dem „Warum?“ und „Was habt ihr getan?“ zu beantworten. Ihre stereotyp abwehrend-verdrängenden Antworten waren: „Das kannst du nicht verstehen!“ und: „Das kann man nicht erklären.“ Vor dem Hintergrund des Filmes hätten wir einen auch für sie akzeptablen Einstieg mit Anschlussmöglichkeiten gehabt, gerade weil ihr Dilemma hier sowohl mit einfühlsamen als auch brutalen Bildern thematisiert wird, die mich und alle Junge und Alte in meiner Umgebung zutiefst berührt haben. WILLIBALD WEICHERT, Hamburg
Doch, es war ein mieser Film.
■ betr.: „So wären die Deutschen gern gewesen“, taz vom 22. 3. 13
Gut und richtig, dass Ulrich Herbert aufzeigt, wie dieser ZDF-Dreiteiler – ausgestrahlt zur besten Sendezeit – mal wieder die „Wir waren alle Opfer“-Strategie zur Entlastung der Mütter-Väter-Generation betreibt. Nur die einleitende Bewertung verstehe ich nicht: „Nein, ein schlechter Film ist das nicht. Viele Szenen bleiben im Gedächtnis, weit entfernt von Landser-Kram.“ Genau! Herbert führt die Botschaft des Films ja präzise aus: „Wir waren doch auch nur junge Menschen, die Spaß haben und Party machen wollten und dann hat man uns um unsere ganze Jugend betrogen!“
So kennen wir doch die Erzählungen und „Opa war kein Nazi“ – natürlich nicht! Dass anderen millionenfach nicht nur die Jugend, sondern gleich ihr ganzes Leben genommen wurde, und zwar nicht von ein paar sadistisch durchgeknallten Nazimonstern, sondern von lauter fleißigen, disziplinierten, tüchtigen, stramm deutschen Heerscharen, die in alle Länder ausschwärmten, um deren Bevölkerungen zu morden, sie gleichzuschalten oder als Zwangsarbeiter zu verschleißen, davon keine bleibenden Szenen, die das Gedächtnis erreichen könnten.
In der Tat, diese entlastende Verharmlosung könnte ein stumpfer Landser-Film heute nicht mehr bewirken, dazu braucht es diese „gut gemachten“ Spielfilme, die man gemeinsam mit den Vätermüttern beim Abendbrot konsumiert, um den armen Alten mitfühlend bestätigen zu können, wie schwer sie es doch hatten. Danach kann man dann wieder zu den Anekdoten übergehen: Dass man endlich mal raus kam, wie schön es anfangs in all diesen fremden Ländern war und wie gemein, dass die sich nicht einfach mit Krieg und Terror überziehen ließen, sondern sich wehrten. Ab da war die Jugend dann verkorkst – wie ungerecht! – Doch, es war ein mieser Film! EIKE PULPANEK, Münster
Eine echte Innovation
■ betr.: „Immer mehr Deutsche fahren mit der Bahn“, taz v. 22. 3. 13
Da sind nun seit Langem die meisten Bahnhöfe verkauft oder abgeschlossen, nun dürfen wir ab 2014 die Verspätungen unter Schutzdächern genießen – eine echte Innovation! Global gehen die Investitionen der DB natürlich schneller, wir erfahren immer nur im Nachhinein, für welche ausländischen Unternehmen unsere (die Bahn gehört immer noch dem Bund und damit uns) Milliarden ausgegeben wurden. Für solche Geschäfte braucht es selbstverständlich Berater, denen üblicherweise Provisionen zustehen. Ist das unser Monopoly-Spieler Grube? GERBURG HEIMERL, Bernbeuren
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