Informations-Freiheits-Gesetz in der Praxis: Auskunft nur mit Ausnahmen
Ob ein Fragebogen zur Ermittlung von Scheinehen veröffentlicht werden muss, verhandelte am Freitag das Verwaltungsgericht.
BREMEN taz | Müssen Bremer Behörden einen Fragenkatalog zur Ermittlung von „Scheinehen“ binationaler Paare veröffentlichen? Vorerst wohl eher nicht. Vor dem Verwaltungsgericht ist am Freitag eine entsprechende Klage der Bürgerrechts-Organisation „Humanistischen Union“ (HU) gegen die Stadt Bremen verhandelt worden.
Richter Simon Sieweke machte deutlich, dass er den Schutz und Erfolg der behördlichen Ermittlung in diesem Fall höher bewertet als die Informationsfreiheit. Klar wurde allerdings: In der Rechtssprechung und dem behördlichen Umgang mit dem Informationsfreiheits-Gesetz (IFG) ist noch lange keine Routine eingekehrt.
Denn eigentlich ist der behördliche Fragenkatalog kein als „geheim“ eingestuftes Dokument. Stoßrichtung auch des Bremischen Informationsfreiheitsgesetzes von 2006 aber ist es, Verwaltungshandeln für die Öffentlichkeit grundsätzlich nachvollziehbar, kontrollierbar und nur in Ausnahmefällen verschlossen zu halten.
Diese Ausnahme sieht Richter Sieweke in diesem Fall der Tendenz nach gegeben: „Der Wert der Aussage sinkt, je mehr dieser Fragenkatalog bekannt ist.“ Juristisch aber ist nicht sicher, ob das reicht, um auch ohne konkretes Verwaltungsverfahren eine solches Dokument pauschal vor der Öffentlichkeit zu schützen.
Amtlicher Liebestest in 100 geheimen Fragen
Vor einem Urteil, das innerhalb von zwei Wochen zu erwarten sei, wolle er alle Argumente noch einmal abwägen, sagte Richter Sieweke – und, dass er sich schon jetzt „über eine Berufungsverhandlung freuen“ würde, um mehr juristische Klarheit zu schaffen. In dem Scheinehe-Katalog selbst sind über 100 Einzelfragen aufgelistet um zu überprüfen, ob bei einem binationalen Paar auch tatsächlich Liebe im Spiel ist, es zumindest eine Ehe ist, so, wie der Verwaltungsapparat sich das eben vorstellt – oder ob die aus behördlicher Sicht gesetzesbrecherische Absicht einer Aufenthaltserschleichung besteht.
Was es auf der Hochzeit zu essen gab, wollen die Sachbearbeiter dann etwa getrennt von den Ehepartnern wissen, wie das gemeinsame Bad gestaltet ist, welche Art von Wecker im Schlafzimmer steht oder wer auf welcher Seite des Ehebettes schläft.
Darunter sind Fragen, die nach einer Gerichtsverhandlung 2009 von der Landesbeauftragten für Datenschutz überprüft und als unzulässig eingestuft wurden und seit 2011 daher gestrichen sind. Die Datenschutz-Überprüfung hatte die Humanistische Union überhaupt erst darauf gebracht, Mitte 2012 die Veröffentlichung des gesamten Fragenkatalogs anzufordern. Beim Innensenator allerdings ließ man sich ganze sechs Monate Zeit für eine ablehnende Antwort, die HU reichte schließlich 2013 Klage ein.
Die Angst der Betroffenen
Was nun vor dem Verwaltungsgericht abstrakt verhandelt wurde, ist für binationale Paare eine konkrete Belastung: „Es ist ein Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen“, sagt Barbara Krüger vom Bremer Verband Binationaler Familien und Partnerschaften. „Schon im Vorfeld der Eheschließung haben die meisten große Angst“, sagt sie, „auch, weil das Verfahren sehr intransparent ist.“ Die Befragungen kommen regelmäßig vor, besonders beim Ehegatten-Nachzug aus visumspflichtigen Staaten sei dies „Gang und Gäbe“.
Neben monatelanger Überprüfungen, etwa der Identitätspapiere, gehöre auch eine Anhörung in der deutschen Botschaft zum Programm. „Das vermittelt den Eindruck, man habe gar kein Recht auf ein Zusammenleben – als wenn das ein Gnadenakt sei“, sagt Krüger. Die ist mit Ängsten besetzt, weil man nicht weiß, nach welchen Kriterien das beurteilt wird. Die Fragen seien in manchen Fällen überhaupt nicht zu beantworten, weil die Partner oft noch gar nicht die Chance hatten, einen Alltag zu teilen.
Vor Gericht aber musste indes erst einmal geklärt werden, wer für eine mögliche Herausgabe überhaupt zuständig wäre. Der Innensenator oder das Stadtamt, zu der die Ausländerbehörde gehört? Wer den Fragenpool einst erstellt hat, konnte zumindest auch Ute Schenkel, Referatsleiterin für Aufenthalts- und Asylangelegenheiten beim Innensenator, nicht beantworten.
Wer Auskunft will muss betteln
Für die Humanistische Union ist das Verhalten der Behörde wie die Tendenz des Richters ein Zeichen dafür, wie wenig das Informationsfreiheitsgesetz in der Behörde verankert sei. „Es bleibt traditionelles Verwaltungshandeln, das man erstmal alles intransparent gestaltet“, sagte Björn Schreinermacher von der HU nach der Verhandlung.
//ssl.bremen.de/datenschutz/sixcms/detail.php?gsid=bremen236.c.7262.de:Datenschutzbeauftragte Imke Sommer beobachtet das Verfahren genau und ist wie der Richter gespannt auf eine weitere gerichtliche Klärung. „Es ist ein sehr junges Gesetz und daher gut, dass sich die Gerichte damit beschäftigen“, so Sommer zur taz.
Einen besonderen Nachholbedarf in Sachen Transparenz kann sie in Bremen dabei nicht ausmachen: „Ich nehme in der Tat wahr, dass, anders als im Datenschutz, bei der Informationsfreiheit viele noch nicht das Gefühl dafür haben.“ Im Vergleich zu anderen Ländern seien die Probleme in Bremen allerdings geringer, „vielleicht, weil die Kultur in Bremen schon früher etwas offener war“, so Sommer.
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