OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Der Topos des Umzugs gehört zu den Standards von Geschichten, in deren Mittelpunkt Kinder oder Jugendliche stehen. Denn für jene ist ja plötzlich alles anders: Die Freunde müssen in der Ferne zurückgelassen werden, in der Schule ist man fremd, und oft genug muss man sich auch noch mit gestressten Eltern auseinandersetzen.
So ergeht es auch Coraline, der elfjährigen Heldin in Henry Selicks gleichnamigem Stop-Motion-Puppenanimationsfilm: Sie findet sich irgendwo in Oregon wieder, wo ihr die Nachbarn zunächst einmal ziemlich seltsam erscheinen. Ihre Mutter hat gerade kaum Zeit für sie, aber glücklicherweise ist Coraline neugierig, und so entdeckt sie bei ihren Erkundungen im Haus den Eingang zu einer Parallelwelt, in der alles ein wenig glamouröser wirkt als in der Realität: eine „andere“ Mutter ist aufmerksamer, das Essen ist besser und die Farben im Garten sind satter. Dass diese Wunschwelt, von der Coraline nicht lassen kann, alsbald ihre Tücken offenbart und das Mädchen nicht nur zur Auseinandersetzung mit einer fiesen Hexe zwingt, sondern auch zu einer realistischeren Einschätzung ihrer persönlichen Situation bringt, ist dabei fast selbstverständlich. Für kleine Kinder ist die ungeheuer attraktive Puppenanimation trotz der FSK-Altersfreigabe ab 6 Jahren übrigens nichts: Coralines Abenteuer in der Parallelwelt entwickeln doch teilweise recht bedrohliche Qualitäten. (20. 1. Babylon Mitte)
So richtig Bedrohliches ist vom Disney-Konzern eigentlich nicht zu erwarten. Trotzdem ist es interessant, dass die Schurken meist viel spannendere Figuren abgeben als die oft eher blassen Helden. In „Küss den Frosch“ sind es der böse, in Voodoo-Praktiken bewanderte Dr. Facilier und die von ihm beschworenen Geister, die nicht nur dem in Frösche verwandelten Heldenpaar das Leben schwermachen, sondern auch für die – unter zeichnerischen Gesichtspunkten betrachtet – attraktivsten Momente des Films sorgen. Neben der Tatsache, dass Disney mit der Kellnerin (und späteren Prinzessin) Tianna erstmals eine afroamerikanische Hauptfigur in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, ist es vor allem etwas überraschend, dass man vier Jahre nach dem vollmundig verkündeten Abschied vom traditionellen Zeichentrick bei Disney nun zu einem ebensolchen zurückgekehrt ist. Pixar-Chef John Lasseter, der die Verantwortung für Disneys Tricksparte trägt, spricht in diesem Zusammenhang von einer Verbeugung vor der Tradition des Konzerns, doch ein Blick auf dessen Marketingstrategie lässt eher vermuten, dass den Verantwortlichen plötzlich aufgegangen ist, mit ihren CGI-Späßen eine bestimmte Zielgruppe völlig aus den Augen verloren zu haben: die Mädchen im Alter bis zu zehn Jahren, die selbst noch gern Prinzessin spielen. Also darf die Heldin Tianna einmal mehr ein schickes Diadem tragen und am Ende den Prinzen heiraten, auch wenn der kein Märchenschloss mehr besitzt, sondern komplett pleite ist. Ein bisschen mit der Zeit gehen muss man dann ja doch. (14.–20.1. Alhambra, Blauer Stern Pankow, Broadway, Cineplex Titania, Kulturbrauerei, Kurbel, Yorck) LARS PENNING
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