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Asaf Avidans neues AlbumOne day, baby, we'll be old

Im Publikum wird es still, wenn Asaf Avidan singt. Strophen über Brüche, verpasste Gelegenheiten, Phantomschmerzen seiner Generation.

Asaf Avidan sieht sich nicht als Stimme seiner Generation, sondern als deren Resultat. Bild: dpa

Asaf Avidan beginnt zu singen, seine Stimme bricht wie eine Naturgewalt aus ihm heraus, und über das Publikum senkt sich Erstaunen. Einverständnis breitet sich aus im Berliner Konzerthaus, zwischen Sänger und Zuhörern, ein Verstehen; das Wissen, dass da einer singt, der fühlt, was man selbst fühlt, aber wovon man nicht sprechen, geschweige denn zu singen wüsste.

Als Asaf Avidan aufhört zu singen, toben die Menschen. „Ich weiß nicht wirklich, was ich da mache“, sagt er, 34 Jahre alt, gefragt, was er da macht. Er erzählt von einer „vulkanischen Energie, die überkochen will“, und der man „als Künstler am besten einfach aus dem Weg geht“.

Der Auftritt ist Teil der Werbekampagne, mit der Avidans neues Album, das kommenden Freitag erscheint, bekannt gemacht werden soll. Auch auf „Gold Shadow“ schraubt sich seine Stimme wieder hoch ins Falsett, vielleicht nicht mehr so häufig wie auf früheren Aufnahmen. Spätestens dort oben in den höchsten Lagen aber, kurz bevor die Kopfstimme zu krächzen beginnt, finden Avidan und seine Zuhörer zusammen in einer gemeinsamen, doch diffusen Agonie, einem Leiden vor allem an sich selbst, einer Verzweiflung ob der Haltlosigkeit in einer immer komplizierteren Welt ohne Ideale, für die es sich zu sterben, oder Utopien, für sie es sich zu leben lohnte.

Dass seine Stimme etwas Besonderes, ja einzigartig ist, das war für Asaf Avidan selbst „eine Überraschung“, erzählt er dann, als er auf einer Couchgarnitur versinkt im fünften Stock des deutschen Hauptquartiers jenes Unterhaltungskonzerns, der seine Platten veröffentlichen darf.

taz.am wochenende

Allmählich zeigt sich, wie brüchig der Pariser Anschlag Frankreich gemacht hat. „Die Muslime werden dafür teuer bezahlen“, sagt Bestseller-Autor Taher Ben Jelloun in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 Und: „Charlie Hebdo“ spottet weiter: ein weinender Mohammed auf der Titelseite, im Heft Scherze über Dschihadisten. Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ Außerdem: Keine Angst vor Hegel. „Viele denken, sie müssten das sorgfältig durchstudieren, wie über eine lange Treppe aufsteigen. Ich finde, man kann auch mittendrin irgendetwas lesen.“ Ein Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des deutschen Literaturarchivs in Marbach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Eine Stimme, der man zuhören muss

An seinen ersten Auftritt erinnert er sich zurück: in einer kleinen Bar seiner Heimatstadt Tel Aviv vor exakt sechs Menschen. Er weiß das noch, weil er sie gezählt hat. Er spürte sehr genau, dass diese sechs Menschen nicht auf ihn warteten, auf einen Trickfilmzeichner, der zwar einen sicheren, gut bezahlten Job besaß, aber gerade seine große Liebe verloren und darüber ein paar Songs geschrieben hatte, die er nun vor Publikum singen wollte. „Aber als ich zu singen begann“, sagt er, „hörten die Leute auf zu reden, sie drehten sich zu mir um, alle sechs, und wurden ganz still. Da wusste ich es.“

Er wusste, er hatte etwas gefunden, das die Menschen faszinierte. Eine Stimme, der man zuhören muss. Avidan gießt in Klänge, was jene fühlen, die ungefähr in seinem Alter sind. Menschen, die sich mit denselben Fragen herumschlagen wie er: „Wenn wir tatsächlich Wesen mit einem Bewusstsein unserer Existenz sind und uns das von allen anderen Lebewesen unterscheidet, stellt sich in letzter Konsequenz doch vor allem eine Frage: Warum? Warum sind wir hier? Und warum muss es enden?“

In seinen Liedern, sagt er, geht es um ihn, um Menschen, die „nach der Hoffnung suchen, wohlwissend, dass es keine Antwort auf unsere Fragen gibt“. Vielleicht sind es nur Phantomschmerzen, unter denen diese Generation Hoffnungslos leidet. Aber niemand singt so schön von diesen Schmerzen wie Asaf Avidan, der Phantomschmerzensmann. Er trägt die Schuhe schwarz, die Jeans schwarz, die Strickjacke und den Armreif schwarz und seine Haare in einer Frisur, die aussieht, als hätte sie sich jemand in einem Akt akuter Selbstzerfleischung geschnitten.

Er sagt, er habe nur ein einziges positives Liebeslied geschrieben. Und er singt auch auf dem neuen Album scheinbar nur von der Liebe, vom Verlassen und Verlassenwerden. Trotzdem finden sich in diesen Liedern von gescheiterten Beziehungen immer wieder Sätze, die universeller anwendbar sind. „Our time is done, what was is gone.“ Oder: „Don’t try to love yourself again.“ Das sind, sagt Avidan, „alles Zeilen, die aus sehr egoistischen Gründen geschrieben wurden. Aber man muss sie loslassen. Jetzt sind sie in der Welt und jeder kann damit machen, was er will.“

„Ich bin nicht die Stimme meiner Generation“

„To hold a breath is not to be alive.“ Während man die Luft anhält, ist man nicht am Leben. Ein Bild für das Problem der Generation, zu deren Sprachrohr Avidan geworden ist. Eine Generation, die erwachsen sein soll, sich aber noch lange nicht so empfindet. Die in die Welt sieht und dort nur Risiken sehen kann, weil ihr irgendwann im sechsten Semester die Zukunftsperspektive abhanden gekommen ist. Eine Generation, die von einer systemischen Krise zum Nomadendasein gebracht wurde, deren Vertreter nach Berlin kommen, um in Kreativ-Sweat-Shops zu malochen.

„Ich bin nicht die Stimme meiner Generation“, sagt Asaf Avidan. „Ich bin ein Resultat meiner Generation. Und meine Generation hat das Problem, dass sie glaubt, wir hätten es verdient, glücklich zu sein. Wir suchen nach dem Unmöglichen und müssen erst noch lernen: Ewiges Glück gibt es nicht.“

Davon singt Avidan. Davon kann er singen, denn, so sagt er: „Auf der Bühne fühle ich mich mehr bei mir als im wirklichen Leben.“ Weil er ein uneigentliches Leben lebt. Gelernt hat, „was John Lennon mal gesagt hat, dass das Leben passiert, während du damit beschäftigt bist, Pläne zu machen“. Aus der Bahn geworfen von der Liebe, ist er selbst aufgebrochen zu einem Nomadenleben, mal hier, mal dort hat er gewohnt, mal in Berlin und dann in Paris. Nach ersten Erfolgen mit seiner Begleitband The Mojos hatte er einen Welthit, der eigentlich nicht seiner war.

Der Berliner DJ Wankelmut war es, der Avidan den Starstatus bescherte. 2011 hatte er eine Sequenz des damals nur in seiner Heimat wirklich bekannten Israelis gesampelt – und daraus einen Techno-Track gefertigt, der zum Club-Hit avancierte. Dank „One Day/Reckoning Song“ wurden Wankelmut und Avidan zu internationalen Marken. Eine Win-win-Situation, gegen die sich Avidan anfangs zu wehren versuchte mit Forderungen, den Remix aus dem Verkehr zu ziehen.

Das Album

Asaf Avidan: „Gold Shadow“ (Polydor/Universal). Tour: 7. 3. Frankfurt, 9. 3. Köln, 10. 3. Hannover, 12. 3. Berlin

Doch der Track war in der Welt und mit ihm bewiesen: Dass selbst ein eher simpler Disco-Rhythmus dieser Stimme nichts anhaben kann. „One day, baby, we’ll be old, and think of all the stories we could have told“: Die Zeilen, die Avidan hier singt, wurden nicht nur zum Refrain eines Spoken-Word-Textes, mit dem die Poetry-Slammerin Julia Engelmann zum YouTube-Star und Dauergast in Talkshows aufstieg, sondern auch zum Motto der Generation Hoffnungslos. Eines Tages werden wir alle alt sein, aber heute entscheidet sich, welche Geschichten wir uns dann erzählen können. Solche Geschichte erzählt Avidan – stellvertretend für die, die gerade zu beschäftigt sind, sie zu erleben.

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1 Kommentar

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  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Wenn man sich das anhört... so kann man eine Karriere auch verhunzen. Asaf Avidan ist ein wunderbarer Bluessänger. "Different Pulses" als langweiliges, abgeschmacktes Popalbum und das neue Album als weichgespülter Retropop - das ist Vergeudung von Talent. So viel Talent, so wenig Mut. Und so verschwindet dieser großartige Livemusiker irgendwo unter "ferner liefen", im Mittelmaß der immergleichen Melodie, im Einheitsbrei des Vier-Akkorde-Songs.