Hagen oder Bremerhaven: Die Alternative im Bremischen
Gegen Thomas Jürgewitz, den aussichtsreichen Spitzenmann der AfD in Bremerhaven, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Wählertäuschung.
BREMERHAVEN taz | Thomas Jürgewitz lebt in der niedersächsischen Provinz. Sagen seine Nachbarn, die ihn seit Langem von dort kennen. Das allerdings disqualifiziert ihn für die Landtagswahl in Bremen am 10. Mai. Deshalb ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen den 55-Jährigen – er ist schließlich Spitzenkandidat der AfD in Bremerhaven. Am Freitag entscheidet der Wahlbereichsausschuss, ob Jürgewitz überhaupt zur Bürgerschaftswahl antreten darf.
Dabei stünden seine Chancen, ins Parlament einzuziehen, gar nicht schlecht. Im Zwei-Städte-Staat reicht es, die Fünfprozenthürde in Bremen oder Bremerhaven zu überspringen, um ein Mandat zu bekommen. Bei den vergangenen Wahlen zogen auf diesem Wege immer wieder Rechtspopulisten in den Landtag ein. Doch in Bremerhaven gewählt werden kann nur, wer sich spätestens drei Monate vor der Wahl „gewöhnlich“ dort aufhält, wie es im Wahlrecht heißt.
Und genau daran gibt es bei Herrn Jürgewitz erhebliche Zweifel. Bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat ihn Claudia Theis, Ratsfrau der Freien Wähler aus Hagen im Bremischen – ein Ort, der nur so heißt, aber im Landkreis Cuxhaven liegt. Auch Jürgewitz war mal bei den Freien Wählern, 2013 sogar ihr Direktkandidat bei der niedersächsischen Landtagswahl. Er bekam nur 1,4 Prozent der Erststimmen.
Theis nun hat genaue Aufzeichnungen geführt, um zu belegen, dass Jürgewitz bis zuletzt ebenfalls in Hagen lebte. „Ich hatte den Hinweis von BürgerInnen hier bekommen“, sagte sie der taz, „ich fühlte mich verpflichtet, dem nachzugehen.“ Nun machen das Polizei und Staatsanwaltschaft, es läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Jürgewitz, bestätigte ein Behördensprecher. Ausforschen wollte sie den AfD-Politiker eigentlich nicht, sagt Theis – „aber letztlich gibt es keine andere Möglichkeit“. Denn auf sich beruhen lassen wollte sie die Sache nicht. Und Wählertäuschung ist strafbar.
Wer fünf Prozent der Stimmen in Bremerhaven auf sich vereinigen kann, zieht ins Parlament ein - ganz egal, wie Bremen abstimmt.
Jan Timke war der letzte Kandidat, der von dieser Klausel im Wahlrecht profitieren konnte. Als Spitzenkandidat der Schill-Partei in Bremerhaven scheiterte er 2003 noch knapp, bei der nächsten Landtagswahl klappte es dann aber mit den Bürgern in Wut. 2011 wurde er wiedergewählt.
Wegen Wahlfälschung musste Timke sich 2008 vor Gericht verantworten: Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben, weil sie ihm vorwarf, seinen Hauptwohnsitz in Bremerhaven nur vorgetäuscht zu haben, um kandidieren zu können. Das Amtsgericht sprach den Bundespolizisten 2009 jedoch frei.
Andere im Ort bestätigen Theis’ Vermutung ausdrücklich. Bis Ende Februar habe Jürgewitz in Hagens Ortsteil Albstedt „gelebt wie in den Jahren zuvor“, sagen zwei direkte Nachbarn. „Eine verminderte Anwesenheit konnten wir nicht feststellen, auch wenn wir diese ausdrücklich begrüßen würden.“ Auch seine Post soll er nach Hagen geliefert bekommen.
Offiziell hat Jürgewitz schon im Sommer 2014 seinen Wohnsitz nach Bremerhaven verlegt. Das sagt seine aktuelle Partei, die AfD, die zugleich beteuert, das entsprechende Dokument auch vorliegen und überprüft zu haben. Jürgewitz sei zu seinen Eltern gezogen, weil die betagt seien und seine Unterstützung bräuchten, heißt es dort. „Wer wann und wo schläft“, so die AfD-Sprecherin, „danach haben wir nicht geschaut.“ In der AfD vermutet man eh „persönliche Animositäten“ hinter der Anzeige.
Jürgewitz wies den Vorwurf der Wählertäuschung in der Nordsee-Zeitung „voll umfänglich“ zurück. Nach seinen eigenen Worten wurde er 1959 in Bremerhaven geboren „und lebte seitdem 35 Jahre in Bremerhaven, 10 Jahre in Bremen und 10 Jahre im Landkreis Cuxhaven“. 1983 kam er zur Jungen Union, verlies die CDU aber wieder, wegen des heutigen Fraktionsvorsitzenden Thomas Röwekamp. In den neunziger Jahren war er mal in der Schill-Partei aktiv, ehe er 2005 für die FDP kandidierte.
Im Bürgerschaftswahl ist Jürgewitz durch die Forderung einer „Residenzpflicht für alle Stadtbediensteten“ aufgefallen: Wer für Bremerhaven arbeite und dort sein Geld verdiene, müsse dort wohnen. Und „so wie es Förderprogramme für Frauen und andere Randgruppen gibt, könnte man auch für diejenigen Anreize schaffen, die aus dem Landkreis wieder zurückziehen“, sagte er der Nordsee-Zeitung. Seine Nachbarn aus Hagen wüssten ja gerne, wie er es „mit der Residenzpflicht für sich selbst sieht“, im Falle eines Wahlerfolgs.
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