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GESETZLICHE RENTENVERSICHERUNG: KRISEN GARANTIEREN GERECHTIGKEITGemütlich darf’s nicht werden

Die gesetzliche Rentenversicherung zahlt erstmals „Rente auf Pump“ – der Bundeszuschuss musste früher ausbezahlt werden als üblich, um die Liquidität der Rentenkassen zu sichern. Faktisch zeigt dieser Kredit aber die Flexibilität und damit Stabilität des Systems. Statt ständig von Jahrhundertreformen zu reden, sollte die Politik zur Vertrauensbildung vor allem eines tun: den Rentnern und Beitragszahlern endlich ehrlich sagen, dass eine „auf Kante genähte“ Rentenpolitik auch im Interesse aller ist.

In einer Gesellschaft, in der das Wirtschaftswachstum zu wünschen übrig lässt und die zudem älter wird, besteht auf Dauer das Problem, dass die jüngeren Beitragszahler über die Last stöhnen, den Ruheständlern ein von diesen als angemessen angesehenes Alterseinkommen zu zahlen. Und was als höchster Beitragssatz und als niedrigstes Rentenniveau zumutbar ist, steht leider nirgendwo geschrieben. Fakt ist nur: So niedrige Renten wie vor 50 Jahren würden heutzutage nicht akzeptiert; dagegen ist damals eine Abgabenlast wie die heutige unvorstellbar gewesen. Das akzeptable Rentenniveau und der gerade noch tolerierbare Beitrag müssen permanent neu ausgehandelt werden.

Mit anderen Worten: Die unumgänglichen „Verhandlungen zwischen den Generationen“ über die Details der gesetzlichen Rente implizieren, dass es permanent eine Zahlungskrise gibt. Würde diese Krise vermieden, also die Rentenkasse einen auskömmlichen Überschuss haben, wären entweder die Renten zu niedrig oder die Beiträge zu hoch.

Für Politiker sind Verteilungskonflikte keineswegs ungewöhnlich. Auch nicht für Gewerkschaften und Arbeitgeber, die sich weltweit permanent über die gerechten und angemessenen Lohnerhöhungen streiten. Nur bei den Renten hätte man es gern gemütlicher. Aber automatisch ausreichende Renten, über deren Kosten niemand stöhnt, sind in Zeiten eines schwachen oder gar negativen Wirtschaftswachstums eine akademische Illusion.

Das von vielen Wirtschaftsexperten empfohlene Patentrezept der Einführung „kapitalgedeckter“ Renten, also das Ansparen der in Zukunft gezahlten Renten, sieht nur auf den ersten Blick gut aus. Und es bringt sicherlich der Finanzbranche gute Gewinne. Aber Kapitaldeckung verhindert keineswegs Streit um die Renten. Denn den künftig Jungen wird es ziemlich egal sein, ob ihre Konsummöglichkeiten eingeschränkt sind, weil sie statt Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, wie heutzutage, Zinsen für das im Besitz der Rentnergeneration befindliche Kapital zahlen.

Dagegen würden diese Jungen sich wehren, etwa indem sie die Steuern auf Zinserträge erhöhen und so die Rentner schröpfen. Der Konflikt um die angemessene Abgabenlast ist also nicht vermeidbar. Wären umgekehrt künftig die kapitalgedeckten Renten zu niedrig, weil am Kapitalmarkt nur niedrige Zinsen verdient werden, würde auch darüber gestritten – und wahrscheinlich ein neues steuerfinanziertes Transfersystem geschaffen werden, um damit den armen Rentnern zu helfen.

Man muss nüchtern feststellen: Streit um die Rente ist unvermeidbar, da auf jeden Fall produktive Erwerbstätige an Ruheständler etwas abgeben müssen. Deswegen sollten wir den Dauerkonflikt um die Rentenversicherung gelassen betrachten. Er belegt, dass permanent ein gesellschaftlicher Ausgleich, also „Generationengerechtigkeit“ gesucht und gefunden wird. Wir sollten aufhören, diesen unumgänglichen Streit als Methusalemkomplott oder Rentenbetrug zu skandalisieren.

Es gibt in der Rentenpolitik nur einen einzigen Bereich, wo langfristig geplant werden sollte: die Altersgrenze mit dem Rentenzugangsalter. Hier geht es nicht „lediglich“ um Geld, das hin- und hergeschoben wird, sondern um reales wirtschaftliches Verhalten und Lebensentwürfe. Will man bei steigender Lebenserwartung vernünftigerweise die Altersgrenze und das Rentenzugangsalter erhöhen, wie das im Koalitionsvertrag steht, dann müssen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber mittel- und langfristig darauf einstellen. Sonst funktioniert es nicht, und es werden lediglich alte Arbeitslose und Erwerbsfähige produziert. Insofern ist der Koalitionsvertrag zumindest an dieser Stelle klug gestaltet, da ein Vorlauf von fünf Jahren bis zum allmählichen Anstieg der Altersgrenze besteht. Diesen Weg sollte die Politik stur durchhalten. GERT G. WAGNER

Der Autor ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaft

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