piwik no script img

Odenwaldschule schließtKein Kredit mehr

Über Jahre kämpfte die Odenwaldschule mit der Verarbeitung eines Missbrauchsskandals. Jetzt muss die Einrichtung aus finanziellen Gründen schließen.

Die Odenwaldschule steht vor dem Aus. Bild: dpa

HEPPENHEIM dpa | Die krisengeschüttelte Odenwaldschule in Heppenheim steht vor dem Aus. Trotz aller Bemühungen sei es nicht gelungen, die Finanzierung für die nächsten Jahre zu stemmen, teilte die Schule am Samstag mit. „Das Schuljahr wird noch zu Ende geführt”, sagte ein Sprecher. Die Eltern wurden laut der Mitteilung informiert und müssen nunmehr entscheiden, „welche Schule für ihre Kinder zum neuen Schuljahr die richtige ist”.

Vor fünf Jahren war an der Reformschule ein jahrelang vertuschter sexueller Missbrauch von mindestens 132 Schülern bekanntgeworden. Auch deshalb ging die Zahl der Schüler spürbar zurück und damit auch Schulgeld für das Privatinternat.

Die Odenwaldschule braucht eine neue Genehmigung, weil sie nach neuen Missbrauchs-Verdächtigungen auf Drängen der Behörden ihre Struktur und Organisation änderte. Dafür verlangen die Aufsichtsbehörden ein schlüssiges Finanzkonzept. Die Schule benötigte für die kommenden Jahre nach eigenen Angaben 2,5 Millionen Euro.

„Die Zeit für das neue Team war kurz, offenbar zu kurz”, teilten Leitung und Trägerverein der Schule mit. „Vor allem aber mussten wir feststellen, wieviel Kredit nicht nur bei Schülern, Eltern und Behörden, sondern wie viel Vertrauen - vor allem auch bei Banken und vielen Ehemaligen, die der Schule zum Teil seit Jahrzehnten verbunden waren, verspielt worden ist.”

Die Schüler hätten geschockt auf die Nachricht reagiert, sagte der Geschäftsführer des vor wenigen Monaten neu eingesetzten Leitungsteams, Marcus Halfen-Kieper. „Morgen wird mit der Abwicklung angefangen“, teilte der Vize-Landrat des Kreises Bergstraße, Matthias Schimpf (Grüne), mit. Dazu gehöre auch ein Beratungsangebot für die Schüler und Eltern. Der Kreis ist als Aufsichtsbehörde für das Internat zuständig.

Nach Auskunft von Schimpf gehen die Schülerzahlen seit mehr als zehn Jahren kontinuierlich zurück. Derzeit lernen 149 Schüler an der Odenwaldschule – das sind deutlich zu wenig. Geld in die leeren Kassen brachten in der Vergangenheit Immobilienverkäufe und eine private Bürgschaft von 600.000 Euro. Außerdem verzichtete die Belegschaft auf einen Teil ihres Gehalts.

Gleicher Ort, neue Schule?

Am Sonntag richtete sich der Zorn auch gegen die früheren Leitungen der Schule: „Jeder BWLer hätte erkannt, dass es bei diesem Schülerrückgang nicht lange gut gehen kann“, sagte Vize-Landrat Schimpf. Geschäftsführer Halfen-Kieper kritisierte: „Es wurde sich viel zu lange durchgewurschtelt. Jetzt ist es zu Ende, das ist hart und bitter.“

Der Vorsitzende des Opfervereins „Glasbrechen“, Adrian Koerfer, konnte sich unterdessen vorstellen, dass es am gleichen Ort eine neue Schule geben könnte. „Ich würde das sogar begrüßen“, sagte er in einem Interview der Frankfurter Rundschau (Montag). „Das ist mit einem neuen Konzept, einem neuen Trägerverein, vielleicht sogar mit den Leuten, die ganz zum Schluss noch eingestellt wurden, durchaus denkbar.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Geld in die leeren Kassen brachten in der Vergangenheit Immobilienverkäufe und eine private Bürgschaft von 600.000 Euro. Außerdem verzichtete die Belegschaft auf einen Teil ihres Gehalts."

     

    Und was wird jetzt mit diesem Geld? Überlässt man es dem Trägerverein?!?

     

    Wer sorgt dafür, dass Dokumente gesichert werden, damit eine Aufarbeitung der kriminellen Vergangenheit statt finden kann?

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden