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St. PauliPfeifen am Millerntor

Ein neuer Präsident, ein neuer Sportchef und ein neuer Trainer – sie alle konnten nicht verhindern, dass dem Zweitligisten die Drittklassigkeit droht.

Wie sich Anhänglichkeit darstellt: Fantum, bekundet im Hamburger Stadtbild Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Im November betrat er mit der flotten Parole die Bühne, er wolle „den Erfolg umzingeln“: Mit mehr Professionalisierung, modernem Management, besserer Kommunikation, einem Ausbau des Nachwuchsbereichs und einer Stärkung der Fankultur wollte St. Paulis neuer Präsident Oke Göttlich alles tun, um dem „etwas anderen Klub“ vom Kiez seine Andersartigkeit zu bewahren – und ihn gleichzeitig dauerhaft fit zu machen für das Haifischbecken Profifußball.

All diese Themen sind in den Hintergrund getreten: Ein halbes Jahr später droht der sportliche Abstieg in die Dritte Liga – verbunden mit immensen finanziellen Einbußen – dem neuen Präsidenten und seiner Führungscrew einen Strich durch die Rechnung zu machen. Und der Abstieg würde den Verein um Jahre zurückwerfen.

Als Göttlich und die Seinen im November ihr Amt antraten, befand sich das Team bereits auf rapider Talfahrt. Die Gründe, warum der Verein, der vergangene Saison noch lange um den Aufstieg in die Erste Liga mitgespielt hatte, sich nun in den Niederungen der Tabelle wiederfand, waren vielfältig: Trainer Roland Vrabec, der keinen Rückhalt mehr in der Führungsspitze des Klubs hatte, trug Verunsicherung in die Mannschaft hinein. Seinem Nachfolger Thomas Meggle, bis September noch Coach des Nachwuchsteams, fehlte die Erfahrung, den Abwärtstrend zu stoppen. Dazu kam die übersteigerte Erwartung der Klubführung, den Bundesligaaufstieg zu schaffen, gepaart mit einer ellenlangen Verletzungsliste.

Kurz vor Weihnachten versuchten Präsidium und Aufsichtsrat, mit einer Personalrochade das Blatt noch zu wenden. Der routinierte Ewald Lienen, 61, ersetzte Interims-Coach Meggle auf dem Trainerstuhl, der wiederum Sportchef Rachid Azzouzi beerbte, der wegen seiner unglücklichen Transfer-Politik in die Kritik geraten war.

Der Personalwechsel zeitigte immerhin bescheidene Erfolge: Holte die Zweitligamannschaft in der Hinrunde nur magere 13 Punkte in 17 Spielen und belegte damit den letzten Tabellenplatz, so sieht die Bilanz unter Lienen deutlich besser aus: Platz 11 in der Rückrundentabelle bei 15 Punkten in 13 Spielen. Zusammengerechnet bedeuten die Ergebnisse der bisherigen Saison aber noch immer Abstiegsplatz 17.

Hoffnung ist kaum in Sicht: Die letzten beiden Auswärtspartien müssen die Hamburger ausgerechnet bei den heimstarken Spitzenteams von Kaiserslautern und Darmstadt bestreiten, eine Heimniederlage gegen Leipzig an diesem Wochenende könnte den Abstieg so gut wie besiegeln.

Für diesen Worst Case liegen zwar Notfallpläne in der Schublade, doch die bedeuten, dass der Gürtel extrem eng geschnallt werden muss: Um mehr als 45 Prozent muss der Liga-Etat voraussichtlich abgesenkt werden. Vor allem die Kredite für das neue, bundesligataugliche Millerntor-Stadion, das nun ausgerechnet zur Rückkehr in die dritte Liga fertig zu werden droht, schmälern die Spielräume.

Obwohl der Klub aufgrund seiner treuen Anhänger auch in Liga drei auf einen einen eher überdurchschnittlichen Etat hoffen darf, wird es eng. Keiner der amtierenden Profis hat einen Drittliga-Vertrag, der Neuaufbau soll mit Spielern angepackt werden, die mit Herz bei der Sache sind und ihr Engagement nicht nur als Sprungbrett für höhere Aufgaben empfinden – genau solche Charaktere sind im Big Business Profifußball aber rar gesät. Klar ist: Sollte der Abstieg kommen, wird von einem sofortigem Wiederaufstieg keine Rede sein. Ein neues Team soll Zeit bekommen, sich zu finden.

Doch auch, wenn es der Mannschaft gelingen sollte, in der Zweiten Liga zu bleiben, soll es im Sommer eine Frischzellenkur geben – verbunden mit einem personellen Schnitt. Misslich ist, dass der schon mitten im Abstiegskampf eingeleitet wurde, als Mittelfeldspieler Dennis Daube ankündigte, im Sommer nach Berlin zu wechseln. Denn der Hamburger Jung ist neben Jan-Philipp Kalla das einzige St.-Pauli-Urgestein, das schon seit Jahren im braun-weißen Sweater kickt – und damit eine Identifikationsfigur auch für die Fans ist.

Dass neue „Daubes“ aus dem – in den vergangenen Jahren stark ausgebauten – Jugendnachwuchszentrum des Vereins hervorgehen, wird immer unwahrscheinlicher. Zwar steht im Moment gleich ein halbes Dutzend Jugendspieler wie Andrej Startsev oder Okan Kurt auf der Schwelle zum Profiteam, ob das dem Verein aber zugute kommt, ist fraglich: Längst wedeln die Talentsucher von Klubs wie Rasensport Leipzig oder auch dem HSV mit Geldscheinen vor der Nase jedes überdurchschnittlich talentiert kickenden Teenie-St.-Paulianers herum und fressen die Nachwuchsabteilung kahl wie sprichwörtlich die Heuschrecken das Kornfeld.

Personelle Kontinuität dürfte es zumindest in der neuen Führungsspitze geben: Das Präsidium wurde gerade erst gewählt, Sportchef Thomas Meggle wird von den Vereinsgremien immens geschätzt und auch Ewald Lienen, der sich stark mit seinem neuen Klub identifiziert, wird im Abstiegsfall den Weg in die Niederungen der Dritten Liga wohl mitgehen, um dort ein Team mit Perspektive zu formen.

Für Präsident Göttlich geht es nun darum, dem Verein in der sportlichen Krise ein neues Gesicht zu geben. Schrecken tut den Musikunternehmer diese Aufgabe nicht. „Hier wird nicht gejammert, sondern wir packen als Team die Probleme an“, gibt der 39-Jährige sich kämpferisch, „und kämpfen als Team für den Klassenerhalt.“

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