SIE SCHNIPPELT MIT HÖCHSTER KONZENTRATION: Keine Trockenhauben
VON ULI HANNEMANN
Bei mir um die Ecke gibt es sinnloserweise direkt nebeneinander zwei Friseure in einem Haus: einen sehr hausbacken wirkenden mit Wella-Reklame außen dran sowie einen neuen Hipsterfriseur. Ich kann also wählen zwischen einer klassischen CDU-Frisur oder so einer modernen Nazitolle. Dabei muss ich mich fragen: In welchen der beiden geht wohl am ehesten ein etwas älterer Herr mit wenig Geld und Geschmack: in den preiswerten Spießerschneider oder in die hippe Haarklitsche? Natürlich entscheide ich mich für den Hipsterfriseur.
Dort empfängt mich eine teuflisch junge Frau, die aber schon die Haare schneiden darf. Im Rhythmus der Musik legt sie los wie die Feuerwehr: schnapp, schnipp, schnapp. Ich habe keine Ahnung, was das für eine Musik sein soll: eintönig, rums, dengel, schigger. Klassik ist das nicht. Das weiß ich. Aber was?
Sie beginnt ein Gespräch, wie es sich gehört in diesem Gewerbe. Wohin ich in den Urlaub fahre. Mein Ziel sagt ihr nichts. Nullo. Ist auch nicht in dieser Straße. Wir schweigen endlich. Mit höchster Konzentration schnippelt sie an mir herum.
Damit ich meinen Teil der Unterhaltungspflicht erfülle, frage ich sie nun, welcher Friseur länger existiere, der Spießerfriseur nebenan oder ihrer hier. Sie weiß es nicht. Sie weiß nur, dass es ihren Laden erst seit drei Jahren gibt. Immerhin war sie da also schon geboren. Sie vermutet aber, dass der andere älter ist. Das vermute ich ebenfalls sehr stark, deshalb hatte ich eigentlich ganz was anderes wissen wollen: nämlich ob die anderen anfangs nicht ab und zu eine Handgranate oder Hundescheiße durch die Tür des Friseurladens geschmissen hätten, der sich plötzlich direkt neben ihren platziert und wie Charybdis die Kunden weggeschlorkt hat. Oder ob sie des Nachts nicht wenigstens die Ständer der Trockenhauben angesägt hätten. Dabei fällt mir auf, dass es beim Hipsterfriseur gar keine Trockenhauben gibt.
Ich frage dann aber doch nicht, weil sie sonst bestimmt denken, ich käme vom Feind nebenan und die Frage sei eine Art kaum verhohlene Drohung. Tatuff, tatuff, rumbums, bimmeldischeng. Rockmusik ist es übrigens auch nicht, was da läuft. Das wüsste ich. Mit einem Mal gerate ich ein wenig in Panik wie eigentlich immer, sobald eine auch nur im geringsten ungewohnte Situation auftaucht: Ich kenne die Musik nicht, ich kenne den Friseursalon nicht, ich kenne das Mädchen nicht. Was mache ich hier? Und was ist, wenn sie mir die Ohren abschneidet oder zumindest kupiert, weil das inzwischen Mode ist? Katuffel, knatter, dröhn, rimboing. Die Musik, die auch keine Jazzmusik ist, schläfert mich zum Glück wieder ein. Bevor ich komplett wegnicke, überlege ich kurz, ob ich fragen soll: „Sagen Se mal, junge Frau, wie nennt man eigentlich heutzutage diesen ausgesprochen flotten und modernen Musikstil, der da in ihrem Kassettenrekorder läuft?“
Nur würde mich spätestens diese Frage als einer von drüben verraten. Alles käme wieder hoch: die Handgranate, die Hundescheiße, die Trockenhauben. Früher gab es nämlich doch welche hier. Sie würde den Stuhl mit einem Satz herunterfahren, dass mir der Arsch brummt, das Frisiermäntelchen herunterreißen und sagen oder schreien: „Los, gehen Sie doch nach drüben.“ Und das, nachdem sie mich bis eben noch geduzt hat. Friedvoll und schweigend bringen wir das Werk zu Ende. Noch ein paarmal, brumm, mit dem Föhn drüber, und ich habe eine affengeile Hipsterfrisur.
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