AMBROS WAIBEL ÜBER BLICKEKEIN MENSCH KOMMT IN DIESEM TEXT HIER ATEMLOS DIE TREPPE HERAUF. DER TEXT HIER MACHT KEINE VERSPRECHUNGEN: In dem Text stirbt auch keiner
Freitag Meike Laaff Nullen und Einsen
Montag Maik Söhler Darum
Dienstag Julia Seeliger Alles bio
Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe
Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei
Wir trinken Bier in der Küche, die Kinder lesen nebenan Comics, die Freundin des Freunds ist auf Arbeit. Der Freund schiebt den Chicorée in den Ofen, er lässt die Kaninchenkeulen köcheln, er bereitet Kartoffelbrei mit Mohn. Dann stellt er den sardischen Weißwein kühl, setzt sich, baut die erste Tüte des Tages und erläutert die Vorzüge des Selbstanbaus im Heimplantagenset aus dem Headshop. Über der großen Provinzstadt hängt bleiern der Spätwinter, in den ich den Nachmittag über meine Kinder gehetzt habe. Der Freund hat Frischluftväter noch nie verstanden, die Jungs lieben ihn dafür.
Der Freund ist nicht alt, aber jung sind wir beide nicht mehr. Der Freund ist Spezialist, er hat Ausstellungen kuratiert und Kataloge herausgegeben, Aufsätze geschrieben und Lesungen moderiert. In beruflichen Zusammenhängen gilt er als schwierig. Dabei liebt er die Kunst und noch mehr liebt er die Künstler. Und nur deswegen hat er manchmal Hemmungen, bei seinen Texten über sie einen ja immer willkürlich festgesetzten Redaktionsschluss einzuhalten – wer sagt denn, dass man nachts um vier nicht noch einen Umbruch machen kann?
Der Freund kann es schlecht ertragen, dass jemand um 15 Uhr in den Ich-muss-das-Kind-abholen-Modus verfällt; und da er einen warmherzigen, aber eben auch aufbrausenden Charakter hat, ist er irgendwann raus gewesen.
Gelohnt hat es sich zuletzt eh nicht, aufgestocktes Hartz IV, befristet. Kunst ist Arbeit, eine Öffentlichkeit für Kunst herzustellen, ist Arbeit, und Arbeit muss anständig entlohnt werden. Auch wenn er seit 1990 keine Beiträge mehr bezahlt hat: Der Freund ist immer noch in der SPD. Als wir klein waren, sagt der Freund, da kann ich mich nicht erinnern, dass es Leute gegeben hätte, die sich um Pfandflaschen aus Mülleimern prügeln.
Seit der Kalte Krieg vorbei ist, sagt der Freund, ist die Kultur am Arsch, wir müssen niemandem mehr beweisen, wie toll frei wir sind. Der Freund leistet es sich nicht nur, so zu reden; er leistet es sich auch, gemäß seinen Einsichten zu leben: Geht doch, sagen die Blicke meiner Kinder mir.
Die Bibliothek des Freundes ist komplett, er kauft nur noch Antike. Als wir über das Menü für den nächsten Tag sinnieren, kommen wir drauf, dass die Markthalle der Stadt nur an drei Tagen die Woche geöffnet hat. Weil es keine Hausfrauen mehr gibt! Sagt der Freund. Wenn ich den Hausfrauenstand nicht hochhielte: Die müssten zumachen! Und, sagt der Freund, vergiss den Arabischen Frühling: 90 Prozent der ägyptischen Frauen sind beschnitten, 10 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind Christen.
Da kommt die Freundin zur Tür herein, der Tisch wird gedeckt, der Wein entkorkt, die Kinder und ein Nachbar setzen sich dazu.
Später bei Calvados und Rauch kommen wir auf Rom, und der Freund sagt, es kann nicht sein, dass ich in meinem ganzen Leben erst ein paar Stunden in Rom war. Du kannst doch immer noch nach Rom fahren, sagt die Freundin. Wer weiß, wie lange ich noch lebe, sagt der Freund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen