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New Yorker Latsch-Marathon

Seit Dienstag streiken Bus- und U-Bahn-Fahrer in New York – der Verkehr ist zusammengebrochen. Zu Fuß, per Fahrrad, auf Rollerblades versuchen die New Yorker zur Arbeit zu kommen. Verständnis für die streikende Gewerkschaft hat kaum jemand

AUS NEW YORK KIRSTEN GRIESHABER

Normalerweise braucht Michelle Goldman eine halbe Stunde mit der U-Bahn von ihrem Apartment an der Upper West Side zu ihrem Büro in Midtown Manhattan. Doch seit dem Streik im öffentlichen Nahverkehr ist der morgendliche Arbeitsweg der New Yorker Rechtsanwältin zu einer Abenteuerreise mit Hindernissen geworden.

Um 6 Uhr morgens stand die 38-Jährige bereits zwanzig Minuten frierend in der Dunkelheit und versuchte vergeblich, ein Taxi herbeizuwinken. Entweder waren die Taxis voll besetzt, oder die Fahrer hielten erst gar nicht an. „Als mich schließlich ein Taxi mitgenommen hat, musste ich mich zu drei Fremden ins Auto quetschen und dem Fahrer 20 Dollar bezahlen, dabei kostet diese Stecke eigentlich nur vier Dollar“, erzählt Goldberg verärgert.

Seit Dienstag kennen die New Yorker kein anderes Thema mehr als den Streik der Transportarbeitergewerkschaft „Transport Workers Union“. Mehr als 33.000 Angestellte sind vor drei Tagen in den Ausstand getreten und haben das öffentliche Verkehrssystem von New York City lahm gelegt, weil die Arbeitgeber ihre Forderungen nach mehr Gehalt und höheren Pensionen nicht akzeptieren. Als die New Yorker Bus- und Bahnfahrer 1985 das letzte Mal gestreikt haben, dauerte es elf Tage, bis ein Kompromiss erreicht war.

Für Millionen von Pendlern bedeutet der Streik in erster Linie stundenlange Autostaus, überteuerte Taxifahrten oder lange Märsche durch die Kälte. Statt mit U-Bahn oder Bus zu fahren, laufen tausende täglich über die Brooklyn Bridge nach Manhattan, radeln oder sind auf Rollerblades unterwegs.

Der Verkehr in und um Manhattan staut sich zu kilometerlangen Blechkolonnen, und viele Pendler erscheinen gar nicht oder viel zu spät zur Arbeit. Da hilft es auch nicht wirklich, dass die Polizei Straßensperren aufgebaut hat, um dafür zu sorgen, dass während der Hauptverkehrszeiten nur Fahrzeuge mit mindestens vier Insassen nach Downtown hinein gelassen werden. Immerhin bilden sich so spontane Fahrgemeinschaften: Autofahrer suchen händeringend nach Fremden, die sie mitnehmen können, um selbst weiterfahren zu können.

Nur wenige New Yorker zeigen Verständnis für die Forderungen der Streikenden. „Ihr Ratten“ titelte die New York Post quer über ein Foto von streikenden Busfahrern, und Richter Theodore Jones drohte sogar damit, die führenden Gewerkschaftsbosse ins Gefängnis zu stecken. Da es öffentlichen Angestellten in New York gesetzlich verboten ist zu streiken, verurteilte Jones die Gewerkschaft bereits zu einer Geldstrafe von 1 Millionen Dollar pro Streiktag und bemüht sich außerdem darum, den Angestellten zusätzlich zu ihrem streikbedingten Lohnausfall eine tägliche Geldbuße von 25.000 Dollar aufzuerlegen.

Bürgermeister Michael Bloomberg bezeichnete die Forderungen der Gewerkschaft als „selbstsüchtig und illegal“ und erinnerte bei einer Pressekonferenz daran, dass die Transportangestellten bereits bis zu 50.000 Dollar im Jahr verdienen – deutlich mehr als Lehrer, Feuerwehrleute und Polizisten.

Gewerkschaftsführer Roger Toussaint, ein Einwanderer aus Trinidad, der als Hardliner bekannt ist, zeigte sich von den Drohungen der Politiker und Richter bislang nicht sehr beeindruckt. „Wir sind bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“, erklärte er, allerdings nur, wenn der Arbeitgeber, die „Metropolitan Transit Authority“, vorher die Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters zurückziehe. Die Verkehrsgesellschaft möchte das Rentenalter von bislang 55 auf 62 Jahre verschieben und verlangt, dass die Arbeitnehmer in Zukunft 6 statt 2 Prozent ihres Gehalts in die betriebliche Rentenkasse einzahlen.

Während Gewerkschaftler, Arbeitgeber und Politiker miteinander streiten, zeigt der Ausstand bereits erste konkrete Auswirkungen. Restaurantbesitzer klagen darüber, dass ihre Einnahmen um 40 Prozent zurückgegangen sind, und New Yorker Kaufhäuser wie Macy’s und Saks Fifth Avenue melden Umsatzrückgänge von 60 Prozent.

Wirklich bedrohlich ist der Streik jedoch für die über 4.000 Obdachlosen von New York, die gerade im Winter Zuflucht in U-Bahn-Tunneln finden und in den unterirdischen Haltestellen schlafen. Weil die U-Bahn-Stationen nun verriegelt sind, übernachten viele von ihnen im Freien. Bei den derzeitigen Temperaturen bedeutet jede weitere Streiknacht einen Kampf gegen den Erfrierungstod.

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