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■ Unternehmer sollen Anstand zeigen und keine Leute entlassen, fordern nicht nur Linke. Das ist unpolitisch, erklärte taz-Autorin Ulrike HerrmannDumpingspirale

betr.: „Die neoliberale Falle“, Debattenbeitrag von Ulrike Herrmann, taz vom 20. 12. 05

Ein Arbeitnehmer, der sich rechnet, hat angeblich einen sicheren Arbeitsplatz. In der Sprache der VWL heißt dies: Zur Gewinnmaximierung wird im Produktionsprozess gerade so viel Arbeit eingesetzt, dass die Grenzproduktivität des Faktors Arbeit dem realen Lohnsatz entspricht. Arbeitslosigkeit entsteht demnach nur dann, wenn die Löhne über der Produktivität der Arbeitnehmer liegen.

Die Entlassungen bei AEG, Deutsche Bank und Telekom zeigen nun, dass diese Theorie so nicht stimmt. Ein Arbeitnehmer muss sich nicht nur rechnen, er muss sich mehr rechnen als seine nationalen und internationalen Konkurrenten um die knappen Arbeitsplätze. Wenn es möglich ist, die Produktivität zum Beispiel durch Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu steigern, wird die dann überflüssige Belegschaft halt entlassen. Das steht zwar nicht in den Lehrbüchern, kommt aber in der Realität häufig vor.

Unternehmen, die trotz hoher Gewinne Arbeitnehmer entlassen, widerlegen rein praktisch die Propaganda, dass höhere Gewinne der Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind. Damit verliert die Politik, die dieses Dogma zur Basis ihres Handelns macht, ihre Legitimation. Dies erklärt wohl den moralischen Aufschrei gerade führender SPD-Politiker. Hartz IV hat nicht nur für die unmittelbar Betroffenen weitreichende negative Konsequenzen. Auch die Noch-Arbeitnehmer werden dadurch zu immer neuen Zugeständnissen bei der Bezahlung, den Arbeitszeiten usw. genötigt. Wenn dann als Folge der rasant steigenden Gewinne auch die Überschussbeteiligungen bei einigen Lebensversicherung steigen sollten, ist dies für die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten kein Ausgleich für die sinkenden realen Löhne und Gehälter.

Die Gewerkschaften sollten in den kommenden Tarifrunden von den Unternehmern lernen. Das heißt Durchsetzung der eigenen Interessen durch möglichst hohe Lohnsteigerungen. Auf den empörten Aufschrei großer und kleiner Kapitalanleger, VWL-Professoren und Politiker sollten sie dabei keine Rücksicht nehmen.

ULRICH SEDLACZEK, München

Sie befinden sich bedauerlicherweise mit Ihren Vorwürfen selbst in der Falle, die Sie für die Moralisten zu erkennen glauben. Es bringt nämlich absolut nichts, sich über Bild zu mokieren, ohne die Dinge beim Namen zu nennen. Dabei ist doch vollkommen klar, weshalb Konzerne aus Old Germany ausziehen: finanziert das doch der eigene Staat – halleluja! Diese Investitionen im Ausland werden nämlich in Deutschland als Vorsteuer geltend gemacht, und die EU subventioniert den neuen Standort darüber hinaus auch noch. Ergo?

Diese neoliberalen Schwachsinnigkeiten führen dazu, dass Deutschland sich selbst „arbeitslos macht“ und dies auch noch finanziert. Mit Moral hat das alles nichts zu tun, sondern mit Machtverhältnissen und mit der Verdummung der Untertanen, die sich das gefallen lassen. RUDI LUX, Berlin

Ein wirklich gelungener Beitrag, der endlich einmal die bornierte Kapital-Arbeit-Front überwindet und das Zusammenspiel der Kräfte im System des globalen Dorfs auf den Punkt bringt. Pflichtlektüre für jede Arbeitsgruppe und jeden Ortsverein, der sich mit sozialpolitischen Fragen befasst! KLAUS WESTERMANN, Neu-Edingen

Die AEG wandert von Nürnberg nach Polen ab und hinterlässt 1.750 Mitarbeiter ohne Job. Wie Ulrike Herrmann feststellt, ist das betriebswirtschaftlich sinnvoll, volkswirtschaftlich aber wegen der zusätzlichen Arbeitslosen schlecht.

Anstelle der wirkungslosen moralischen Empörung über die betriebswirtschaftlichen Maßnahmen plädiert sie für volkswirtschaftliche Maßnahmen durch die Parlamentarier und meint, „… dass man ruhig die Unternehmensteuern erhöhen könnte“, um „… den gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu verteilen“. In Zeiten der Globalisierung ist dies aber ganz offensichtlich kein gangbarer Weg mehr, wie es noch in Zeiten wirtschaftswunderlicher Binnenmarktorientierung der Fall war. Heute verpuffen derartige Maßnahmen nicht nur nutzlos, sie wirken vielmehr kontraproduktiv und sind ebenfalls zu der Art von neoliberaler Falle geworden, vor der Ulrike Herrmann warnt. Die steuerpolitischen Maßnahmen der Parlamentarier können die Unternehmen nicht daran hindern, ihre Produktion ins steuergünstigere Ausland zu verlagern. Nahezu die gesamte Textilindustrie ist auf diese Weise bereits aus Deutschland verschwunden.

Es ist wohl richtig, dass Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft nicht identisch sind. Hier ist aber eine andere Unterscheidung von Bedeutung, nämlich die von Volkswirtschaft und Weltwirtschaft. Solange es keine politische Instanz gibt, die den anarchischen internationalen Wettbewerb regulieren könnte, so lange bleiben die Gesellschaften der jetzigen Industrieländer dem Sozialdumpingdruck und der ökonomischen Vergewaltigung durch die internationalen Konzerne ausgesetzt. Die Dumpingspirale wird sich zwangsläufig so lange drehen, bis das Niveau der am niedrigsten liegenden Konkurrenzländer erreicht ist. MANFRED ZORN-ZIMMERMANN

Vielen Dank, liebe Ulrike Herrmann, für diese hervorragende Analyse des moralischen und politischen Linksseins! Liebe Grüne im Berliner Parlament, an euch habe ich Grünwähler folgenden Weihnachtswunsch: Bitte lest doch diesen Aufsatz gründlich durch, erinnert euch an eure nicht nur libertären, sondern auch demokratisch-sozialistischen Wurzeln, nehmt das alternative Wirtschaftsgutachten der Bremer Memorandum-Gruppe als wirtschaftspoltische Grundlage (die man euch zurzeit kaum vertreten hört!) und arbeitet darauf hin, dass wir spätestens 2009 eine Koalition aus einer schröderfreien SPD, einer entstalinisierten Linkspartei und einer – sorry – entneoliberalisierten grünen Partei erhalten. Das wäre eine Variante des möglichen Glücks. ANDREAS PETRIK, Hamburg

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