Die armen Entführer

VON BEATE SEEL

Eine gute Woche nach ihrer Freilassung aus der Geiselhaft hat Susanne Osthoff in ihrem ersten Interview angekündigt, sie wolle in den Irak zurückkehren und dort ihre Arbeit als Archäologin fortsetzen. Gegenüber dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira erklärte sie am Montag, sie sehe es als ihre Aufgabe an, der dortigen Bevölkerung zu helfen.

Die Entscheidung, sich im Irak aufzuhalten, habe sie auf eigene Faust getroffen. Dabei blieb zunächst offen, ob sie sich auf ihren bisherigen oder einen künftigen Aufenthalt im Irak bezog. Einen genauen Zeitpunkt für eine Rückkehr nannte sie nicht. Ihre Äußerungen stießen in Deutschland weitgehend auf Unverständnis (siehe unten). Das Interview wurde in der Zentrale von al-Dschasira in Doha, der Hauptstadt des Golfstaats Katar, in arabischer und englischer Sprache geführt.

Osthoff, die mitgenommen wirkte und teilweise unzusammenhängend redete, sprach gleich zu Beginn des Gesprächs die Bedrohlichkeit ihrer Lage als Geisel an: „Ich habe den Tod mit eigenen Augen gesehen, das ist nicht schön.“ Dennoch äußerte sie Verständnis für ihre Entführer. Sie hätten gesagt, „wir kennen Sie, Frau Susanne, und wissen, dass Sie eine Freundin des Irak sind. Sie sollen wissen, dass Sie aus politischen Gründen entführt sind.“ Die Entführer hätten auch gesagt, dass sie keine Angst haben müsse. „Wir schaden keinen Frauen und Kindern, und du bist eine Muslimin“, zitierte sie ihre Kerkermeister. „Ich war so froh zu wissen, dass ich nicht in die Hände von Kriminellen gefallen bin“, fügte sie hinzu. Sie sei gut behandelt und an einem sauberen Ort festgehalten worden.

Ihre Kidnapper beschrieb sie als „arme Leute“. Sie könne ihnen die Entführung nicht vorwerfen, „da sie nicht in die Grüne Zone eindringen können, um Amerikaner zu entführen“, sagte Osthoff gegenüber al-Dschasira. Die Grüne Zone ist ein abgeriegeltes und scharf bewachtes Areal in Bagdad.

Osthoffs Angaben zufolge forderten die Entführer kein Lösegeld. Vielmehr hätten sie von Deutschland humanitäre Hilfe verlangt, etwa für den Bau von Schulen und Krankenhäusern im so genannten sunnitischen Dreieck nordwestlich von Bagdad.

Bislang ist keine Entführergruppe im Irak mit sozialen Forderungen oder mit dem Wunsch nach einer Verbesserung der lokalen Infrastruktur in Erscheinung getreten, wie es etwa im Jemen bei der Verschleppung von Ausländern in der Regel der Fall ist. Bei den Entführungen im Irak ging es immer um Geld oder die mediale Werbung für eine Terrorgruppe, wobei die „politischen Forderungen“ der jeweiligen Nationalität oder Tätigkeit der Opfer angepasst wurden.

Osthoff äußerte sich gegenüber al-Dschasira enttäuscht über einen Teil der deutschen Medien, in denen sie als leichtsinnig oder verantwortungslos beschrieben worden war. Sie dankte jedoch dem Zentralrat der deutschen Muslime für das Engagement in ihrem Fall und erwähnte auch den Appell für ihre Freilassung von Gerhard Schröder.

Die 43-jährige Osthoff war am 25. November mit ihrem Fahrer im Nordirak verschleppt und am 18. Dezember wieder freigelassen worden. Sie lebt seit mehreren Jahren im Irak und setzt sich für den Erhalt von Kulturstätten ein. Außerdem organisierte sie während des Krieges 2003 Medikamente aus Deutschland. Sie war mit einem Iraker verheiratet.

Seit mehreren Jahren hatte Osthoff keinen engen Kontakt mehr zu ihrer Familie in Deutschland. Seit ihrer Freilassung hat sie sich, soweit bekannt, auch nicht bei ihren Verwandten gemeldet. Osthoff hat offenbar im Irak ihren Lebensmittelpunkt und ihr persönliches soziales Umfeld gefunden. Aus ihrer Sicht mag es sich so darstellen, als wolle die Bundesregierung sie mit der dringlichen Warnung vor einer Rückkehr in den Irak ins Exil treiben.