: Erfüllt leben statt ständig streben
LATEINAMERIKA Wenn Ecuadors Präsident Correa sich mit deutschen Wirtschaftsbossen trifft, begegnen sich zwei Wertemodelle. Die Verfassung des Landes beschreibt eine teilweise Abkehr vom westlichen Wachstums- und Wohlstandsdenken. Trotzdem gibt es Kritik
■ Am Morgen wurde er noch von Bundespräsident Joachim Gauck festlich begrüßt. Am Abend versprach der Besuch von Ecuadors Präsident Rafael Correa an der Berliner Technischen Universität ungemütlicher zu werden. Aktivisten wollten nach Redaktionsschluss gegen die Pläne zur Errichtung einer offenen Kupfermine protestieren, die Flora und Fauna im Regenwald schädigen würde. Gleichzeitig soll Correa mit der Überreichung einer Petition mit 54.000 Unterschriften aus aller Welt „überrascht“ werden. Motto der Aktion: „Hey, Mr. President! Lassen Sie das Kupfer da, wo es hingehört: unter der Erde von Intag.“ (taz)
VON HANNES KOCH
BERLIN taz | Verlockend klingt, was die lateinamerikanischen Länder Ecuador und Bolivien in ihre Verfassungen geschrieben haben. Den Einwohnern wollen sie ein „gutes, erfülltes Leben“ ermöglichen. Rafael Correa, der Präsident Ecuadors, ist einer der prominentesten Protagonisten dieser teilweisen Abkehr vom westlichen Werte- und Wohlstandsmodell.
Deshalb wurde sein Besuch bei der Berliner Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaftsverbände am Dienstag mit Spannung erwartet. Für hiesige Unternehmen und Konzerne stehen hier Investitionen und Absatz im Vordergrund – Erdöl, Bergbau, Verkauf von Maschinen und Fahrzeugen. Wenn Correa spricht, schwingt eine andere Botschaft mit: Euer europäisches Wertesystem akzeptieren wir nicht mehr. „Buen Vivir“ (gutes Leben) bedeutet für ihn etwas anderes als für die hiesigen Wirtschaftsbosse.
Das Konzept wurde in Ecuador und Bolivien entwickelt – in Anlehnung an Tradition und Glauben der indigenen Völker der Anden. Seit den Jahren 2006 und 2008 steht das „gute Leben“ in den Verfassungen der beiden Staaten. Während im deutschen Grundgesetz die politischen Rechte der Staatsbürger eine zentrale Stellung einnehmen, definiert die Verfassung Ecuadors auch soziale und ökonomische „Rechte des guten Lebens“. Dazu gehören unter anderem der Anspruch auf ausreichende Ernährung, Gesundheit, Erziehung und Zugang zu sauberem Wasser.
Darüber hinaus beinhaltet diese politische Vision aber auch Prinzipien, die sich grundsätzlich vom Konzept der Aufklärung und dem daraus erwachsenen demokratisch-marktwirtschaftlichen System unterscheiden. „ ‚Buen Vivir‘ ist scharf abgegrenzt von der Idee des individuellen guten Lebens“, sagt Thomas Fatheuer, ehemaliger Leiter der grünen Böll Stiftung im brasilianischen Rio de Janeiro. „Es ist nur im sozialen Zusammenhang denkbar, vermittelt durch die Gemeinschaft, in der die Menschen leben.“
Demzufolge bestreiten manche Befürworter die Legitimität von Privateigentum und Ausbeutung der Arbeitskraft Lohnabhängiger. Permanenter materieller Fortschritt, unausgesetztes Wirtschaftswachstum und Steigerung des individuellen Wohlstands haben in dem lateinamerikanischen Konzept ebenfalls keinen Platz. Statt ständiger Verbesserung geht es um ein stabiles Gleichgewicht, bei dem die Menschen mit sich und der Natur in Einklang leben.
Die Ideen sind bisweilen bereits politische Praxis. Gegen die Interessen der USA will die bolivianische Regierung ihren indigenen Bauern beispielsweise den Anbau der Kokapflanze erlauben. Und Ecuadors Präsident Correa hat vorgeschlagen, in der Yasuní-Region am Amazonas kein Erdöl fördern zu lassen, wenn seinem Land ein Teil der entgangenen Einnahmen durch die Vereinten Nationen erstattet würde. Das Vorhaben – von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nicht unterstützt – brachte Correa die Sympathie vieler Wachstumskritiker in Europa. Allerdings ist die Haltung seiner Regierung nicht eindeutig: Correa droht, das Erdöl fördern zu lassen, falls die Industrieländer den Verzicht darauf nicht zahlen. Erst das Fressen, dann die Moral: Das Geld brauche er zur Armutsreduzierung, sagt Correa.
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