: „Wer teuer isst, gilt als Idiot“
INTERVIEW ANNIKA JOERES
taz: Herr Bühner, wenn Sie eine Zutat sein könnten, was wären Sie am liebsten?
Thomas Bühner (lacht): Am liebsten wäre ich ein giftiger Pilz – der lebt am längsten und schmeckt dazu noch gut. Aber am wichtigsten ist: Ich wäre gerne frisch, eine frische Zutat. Ob Fleisch oder Fisch ist mir egal.
Sie sind Vertreter der Haute Cuisine. Wie kann der Normalverbraucher etwas von der feinen Küche abhaben?
Ansprüche stellen! Sie müssen gute Ware fordern, nicht mit dem Rezeptbuch einkaufen gehen, sondern gucken, was der Markt Gutes hergibt. Bewusst essen. Sich nicht mit jedem Scheiß zufrieden geben.
Wenn man in den Innenstädten des Ruhrgebiets wohnt, ist es schwer, einen Metzger zu finden.
Ja, weil sich Essen leider nur noch über den Preis definiert. Wenn Sie ein teures Auto kaufen, haben Sie es geschafft. Wenn Sie teuer essen, gelten Sie als Idiot.
Sind die Deutschen mit jedem Scheiß zufrieden? Den Franzosen wird nachgesagt, sie seien Feinschmecker.
Weil sie nicht so schöne Wohnungen haben! Deswegen gehen die Franzosen so gerne ins Restaurant. Was ich bei den Deutschen vermisse, ist die Produktkenntnis. Ich bin auch nicht mit dem goldenen Löffel aufgewachsen, aber meine Mutter ist Montags schon zum Metzger gegangen und hat Zunge gekauft, Kalbsnieren, Ragout fin. Heute ziehen alle die Nase hoch, wenn sie das hören. Aber das Schnitzel schmeckt weiterhin.
Was war früher leckerer als heute?
Ein klassisches deutsches Gericht ist Leipziger Allerlei. Da waren Spitzmorcheln mit drin, Flusskrebse, frische Gemüse, Spargel. Wann haben sie heute so etwas? Heute kennen alle nur noch Brokkoli, Eisbergsalat und Tomaten. Damit hört es ja schon auf. Diese Rückentwicklung ist eigentlich unfassbar.
Woran liegt das?
Die Leute meinen, gute Küche findet nur mit Luxusprodukten statt. Dabei finde ich: Der Grad zwischen gut und voll daneben ist beim Kartoffelsalat viel schmaler als beim Steinbutt. Wenn ich am Kemnader See in Bochum in eine Kneipe gehe, was hat die auf der Karte? Gebeizten Lachs, Seeteufel und Garnelen. Warum machen die nicht einen Süßwasserfisch, der auch im Kemnader See vorkommt? Oder eine Rindsroulade? Oder Bratkartoffeln, die auf dem Teller knallen wie ein Fünfmarkstück? Warum machen die alle das Gleiche?
Vielleicht weil die Gäste lieber Lachs als Lunge essen?
Das glaube ich nicht. Die haben einfach nicht die Auswahl. Warum nicht ein Hasenragout, was nicht zu teuer ist? Stattdessen jammern alle Gastronomen, dass die Ware teurer wird. Die müssen ja nicht mit uns Edelrestaurants mithalten, sondern eigene Sachen definieren. Warum wollen die Loup de mer anbieten, der ist sauteuer? Da würde ich doch lieber einen Hering einlegen oder Forelle und Zander braten, wenn es sie gibt.
Warum legen Sie denn nicht selbst Heringe ein?
Wir bieten Spezialitäten, das ist ein ganz anderes Segment. Und natürlich habe ich die größere Auswahl, wie auch meine Gäste zwischen allen Lebensmitteln frei wählen können. Aber leckere Gerichte sind keine Frage des Geldes.
Sie sagten, gutes Essen sei keine Geldfrage. Die Gemüse im Discounter kosten nur ein Drittel vom Bioladen. Erst kürzlich hat aber eine Studie bewiesen, dass sie voller Pestizide sind. Nur wenige können im Reformhaus einkaufen.
Dann sollten wir eben anders essen! Wir müssen nicht jeden Tag Schweinefilet essen, das gab es bei uns früher auch nicht. Wir können auch ein Risotto kochen. Und wenn ich dann guten Reis nehme, ist das Produkt immer noch günstig und lecker. Ich meine günstig, nicht billig. Ich gehe sogar noch weiter: Die Leute müssten viel mehr Geld fürs Essen ausgeben, dann würden sie auch bewusster essen. Eine Tüte Chips für 99 Cent mampf ich beim Fernsehen so weg. Aber wenn Sie sagen: Ich habe guten italienischen Schinken gekauft, den bereite ich heute Abend zu. Den essen Sie ganz anders, den stopfen sie nicht nebenbei ein. Wir brauchen eine andere Wertschätzung für das, was wir essen.
Die meisten Menschen essen aber nun einmal eher Chips als italienischen Schinken. Wie wollen Sie diese Entwicklung wieder umdrehen?
Ich bin kein Apostel. Aber die Leute müssen sich klar machen, dass sie im wörtlichen Sinne „Lebens-Mittel“ essen. Wenn sie darüber diskutieren können, ob ihr Auto 99 oder 100 Oktan tankt, könnten sie auch überlegen, was sie selber reinschaufeln.
Aber diese Diskussion wird im Augenblick doch gar nicht geführt.
Nein, leider nicht. Dabei ist Kochen total in. Wenn sie den Fernseher anschalten, sehen sie eine Küchen-Show nach der nächsten. Selbst Johannes B. Kerner kocht. Aber das fehlt mir, das über Produkte gesprochen wird, über Qualitätsunterschiede. Dass es eine Wertschätzung gibt. Wenn wir Käse einkaufen, holen wir den von einem kleinen Bauern. Der Käse lebt – er schmeckt im Frühling nach frischer Wiese und im Sommer nach Stroh, weil die Blumen schon verblüht sind.
Hört sich ja geradezu romantisch an. Aber wo finde ich in der Stadt so einen Käse? Das ist illusorisch.
Das ist natürlich teuer im Vergleich zum Hähnchen für zwei Euro vom Bahnhof, an der Bude geschossen. Aber da frage ich mich doch eher: Wie kann das sein? Das war doch mal ein Lebewesen.
Sind sie gläubig?
Nein, überhaupt nicht. Trotzdem: Das war ein Lebewesen, wurde sechs Wochen hochgestopft. Und in den zwei Euro ist noch Mehrwertsteuer und der Vertrieb drin, der Supermarkt verdient, die Bauern. Das kann doch nicht sein! Wenn die Leute meinen, das geht immer noch eins billiger, kriegen sie Schrott. Und am Ende weinen alle: Das war Gammelfleisch.
Haben Sie erwartet, dass so viel Gammelfleisch im Umlauf war?
Das war nicht vorhersehbar. Aber wenn man sich ein Stück Fleisch kaufe, dann sieht man, ob es gammelig ist. Das stinkt, das ist schmierig, das nehme ich nicht in den Mund. Das geht ja nur bei Produkten, die dermaßen überwürzt sind wie Gyros. Wenn ich durch den Wald gehe, esse ich auch nicht jeden Pilz, aus reinem Instinkt. Aber die Leute schaufeln irgendetwas in sich hinein, das hat mit Essen überhaupt nichts mehr zu tun.
Wenn der Instinkt jetzt verschüttet ist: Wird jeder Mensch mit einem Instinkt für gutes Essen geboren oder muss man ihn erlernen?
Weiß ich nicht, bin ja kein Verhaltensforscher. Aber ich denke schon, das das erlernt wird. In Bayern essen die Leute etwas anderes als hier, die Baden-Württemberger stehen auf Lunge, dafür essen sie hier Mettbrötchen. Also es gibt regionalen Bezug, der geht dann nur später verloren.
Was essen die Nordrhein-Westfalen gerne?
Die sind ganz aufgeschlossen. Hier gibt es ja viele internationale Einflüsse.
Hier lebt zwar eine große türkische Gemeinde, aber die türkische Küche gibt es doch fast nur an der Döner-Bude.
Ja, aber das ist nicht alles. Es gibt viele Supermärkte, in denen Deutsche Schafskäse und Oliven kaufen, oder asiatische Glasnudeln. Das ist auch nicht die Haute-Cuisine, aber eine Bereicherung für die Küche.
Stehen Sie überhaupt noch am Herd? In so einer großen Küche müssen Sie doch wahrscheinlich nur organisieren.
Sehr viel, das stimmt. Außer mir arbeiten noch acht weitere ausgebildete Köche bei uns. Ich kann natürlich kochen – das schwöre ich Ihnen – aber ich muss auch nicht der beste Koch sein.
Was müssen Sie besser können?
Ich muss besser führen können. Ich bin der Trainer, nicht der Stürmer.
Wie haben Sie trainiert? Ist Kochen eine Begabung?
Nein, jeder kann kochen lernen. Aber das ist harte Arbeit. Ich habe zufällig, weil mir das Arbeitsamt dazu geraten hat, eine Ausbildung zum Koch gemacht. Danach musste auch ich jahrelang experimentieren, die Zutaten kennen lernen, neue Zusammensetzungen ausprobieren. Letztens habe ich eine gewürzte Schokolade mit Curry und Salz probiert, die war ganz köstlich.
Haben Sie denn eine Lieblingszutat?
Am liebsten Fisch. Der ist am vielseitigsten, da kann man die kreativsten Saucen machen, viele Sorten wild mixen. Obwohl ich selbst lieber Fleisch esse.
Gehen Sie denn auch noch selbst essen? Oder langweilen Sie sich?
Ich gehe lieber eine Bratwurst essen. Abends am Bett lese ich Kochbücher, im Fernsehen laufen Kochsendungen, irgendwann habe ich genug.
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