Erstmals Journalistenstreik in China

Redakteure eines Pekinger Boulevardblatts protestieren gegen die Entlassung ihres liberalen Chefredakteurs

Rund ein Drittel der 300 Redakteure der Pekinger Boulevardzeitung Xin Jing Bao (Peking Nachrichten) sind am Donnerstag abend in einen informellen Ausstand getreten. Sie protestieren mit diesem ersten bekannt gewordenen Journalistenstreik im autoritär regierten China gegen die Abberufung ihres Chefredakteurs Yang Bin, wie die internationalen Nachrichtenagenturen berichten. Auch zwei Stellvertreter Yangs sollen zur Kündigung gedrängt worden sein.

Für die am Mittwoch erfolgte Entlassung Yangs wurden zunächst keine offiziellen Gründe genannt. Später hieß es, er sei nur routinemäßig auf einen anderen Posten versetzt worden. Doch die Redakteure werten dies als Versuch, das mutige Boulevardblatt auf KP-Linie zu bringen. Bereits im März 2004 war der damalige Chefredakteur verhaftet worden. Er wurde später wieder freigelassen, doch galt der Fall als Zensurversuch.

Xin Jing Bao hat sich mit für chinesische Verhältnisse mutigen Berichten über Korruption und soziale Missstände einen Namen gemacht. So berichtete das Blatt im Juni über die blutige Niederschlagung eines Protests in der Provinz Hebei, bei der sechs Bauern getötet wurden. Später wurden die verantwortlichen Kader angeklagt.

Das 2003 gegründete Boulevardblatt gehört der konservativen KP-Zeitung Guangming Ribao aus Peking und der mutigeren Nanfang-Dushi-Bao-Gruppe aus dem südlichen Guangzhou. Letztere publiziert Blätter, die zeitweilig zu Chinas investigativsten Zeitungen gehörten, bis sie zu selbst durch die Auswechslung leitender Redakteure zensiert wurden. Xin Jing Bao hatte diesen mutigen Stil übernommen, für den Yang steht.

Wie Hongkongs South China Morning Post gestern berichtete, übernimmt Guangming Ribao jetzt die Kontrolle über Xin Jing Bao. Der geschasste Yang soll sich aus Protest in seinem Büro eingeschlossen haben. „Wir wussten, dass eine so hochwertige Zeitung jederzeit damit rechnen muss, mundtot gemacht zu werden, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es so schnell geschieht,“ sagte ein ungenannter Reporter dem Hongkonger Blatt.

Beobachter rechnen damit, dass bei anhaltendem Streik Xin Jing Bao geschlossen werden könnte. Die gestrige dünne Ausgaben enthielt hauptsächlich Artikel der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua. Im Impressum fehlten Angaben über die Chefredaktion. China belegt im Pressefreiheitsindex von „Reporter ohne Grenzen“ den 159. Platz von 167 Ländern. SVEN HANSEN