piwik no script img

Gartln, am Zaun stehen und ratschen

HAUSBESUCH Else kam aus dem Westerwald und wollte in die Welt. Dann traf sie Walter. Die Schemers in Raubling

VON MARLENE HALSER (TEXT) UND QUIRIN LEPPERT (FOTOS)

Landkreis Rosenheim, Gemeinde Raubling am Inn, am Rande der bayerischen Voralpen, 11.000 Einwohner, zu Hause bei Else (74) und Walter (69) Schemer.

Draußen: Ein vanillegelb gestrichenes 4-Parteien-Haus mit großer gepflasterter Hofeinfahrt und zwei Garagen. Drumherum ein großes Gartengrundstück mit akkurat gestutzten Kirsch- und Apfelbäumen, Brombeer- und Himbeersträuchern. Maisenknödel im Baum. Eine kleine hölzerne Gartenlaube, darin Geweihe über der Eckbank, davor ein Goldfischteich mit einer kleinen Brücke (Walter: „Die Seufzerbrücke“) und Eulen aus Stein (Else: „Ich bin ein Eulen-Fan“). 2003 erst zogen die Schemers von Rosenheim nach Raubling. Else wollte eigentlich nicht: „Ich bin ein Stadtmensch.“

Drin: Die kleine Wohnung im ersten Stock hat zwei Wohnzimmer. Ein repräsentatives und ein rustikales. Im repräsentativen: Perserteppiche auf hellem Laminat, eine cremefarbene Sitzgruppe aus Leder, schwere antike Möbel aus dunklem, fast schwarzem Holz, Kristallvasen, -schalen und -gläser in der Vitrine, Kunstblumensträuße, eine weiße Häkeldecke auf dem runden Tischchen, die Fernbedienung für den Flachbildfernseher in Griffweite. Im rustikalen Wohnzimmer: hölzerne Eckbank, Zinnteller, Becher und Krüge in einem Regal an der Wand. Eine rustikale Einbauküche aus dunklem Holzfurnier. Latschenkiefernöl im Badezimmer, vereinzelte Tannen auf beigefarbenen Fliesen.

Wer macht was? Walter war Abteilungsleiter bei der Firma Kathrein, einem Antennenhersteller, in Rosenheim („43 Jahre bei derselben Firma“). Else war zuerst Krankenschwester, dann Altenpflegerin. „Da konnte man eine bessere Beziehung zu den Patienten aufbauen.“ Jetzt sind beide in Rente. Else: „Ich bin in ein Loch gefallen.“ Mittlerweile sind beide mächtig eingespannt. Walter: „Gartln“, „am Zaun stehen und ratschen“, donnerstags Rentnertreff mit den alten Kollegen von Kathrein, sonntags Frühschoppen („nur leichtes Weißbier“). Else: „Wir haben so viele liebe Nachbarn. Mal hier eine Einladung, mal da.“ Beide: Radfahren („Am Inn. Da ist es flach.“) und Bergwandern.

Wer denkt was? Am Tag zuvor ist Sohn Thomas (44) aus der Wohnung im zweiten Stock ausgezogen, er wohnt jetzt bei seiner Lebensgefährtin im zehn Kilometer entfernten Kolbermoor. Else: „Das ist ein trauriges Ereignis.“ Walter: „Hoffentlich sehen wir ihn trotzdem noch oft.“

Else: Geboren in Niederfischbach, Westerwald, 50 Kilometer östlich von Köln. „Ich war mit sechs Jahren Vollwaise.“ Der Vater fiel im Krieg, die Mutter starb zwei Jahre später an einer Lungenentzündung. Sie lebte erst mit dem älteren Bruder bei Verwandten, kam mit 14 ins Internat. Ausbildung als Krankenschwester in Neuwied bei Koblenz, drei Jahre Uniklinik Köln. „Dann wollte ich mit einer Freundin die Welt entdecken.“ Gemeinsam gingen sie nach Oberbayern. „Das sollte aber nur ein Sprungbrett sein.“ Sie wollte zuerst nach München, dann in die Schweiz und dann nach Amerika. Sogar eine Stelle in einem Krankenhaus in Virginia hatte sie schon. Dann kam Walter.

Walter: Geboren in Reichenberg (heute Liberec, Tschechien) im Sudetenland. Der Vater fiel im Krieg: „Bevor meine Mutter die Todesnachricht bekam, kamen schon ihre Briefe zurück. Darauf stand: Zurück an Absender. Gefallen für Großdeutschland. Ich hab die Briefe heute noch.“ Mutter und Großmutter flüchteten mit dem Einjährigen nach Rosenheim. Dort heiratete die Mutter neu. Schule, Ausbildung zum KFZ-Mechaniker. „Im Büro hätte ich mich nicht wohlgefühlt.“ Bis zur Rente keinen Tag arbeitslos.

Das erste Date: 1966 im Loretta-Krankenhaus in Rosenheim. Sie Krankenschwester, er bei der Wasserwacht. Walter brachte Verletzte ins Krankenhaus. „Dort hat man uns mit Kaffee und belegten Brötchen immer gut versorgt.“ Dann: Faschingsball im Krankenhaus (Else: „Frauenüberschuss“) und das Rosenheimer Herbstfest (Walter: „Da kam sie mir mit zwei Maß Bier entgegen.“, Else: „Das war der einzige Grund, warum er mir hinterhergelaufen ist.“).

Die Hochzeit: Am 31. Mai 1968. „Sehr schön!“ Im Wallfahrtsort Birkensee. Sie im weißen Kostüm, er im schwarzen Anzug mit weißer Krawatte. „Wir wollten nur eine kleine Hochzeit“, maximal 15 Gäste. Else: „Die Gräfin hat für uns extra das Restaurant aufgesperrt, ihr ganzes Tafelsilber aufgetragen und uns aufgetischt.“ Vor dem Pfarrer hatte Walter Respekt: „Wenn ich an seine Stimme denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut.“ Am nächsten Tag ging es für eine Woche nach Wien. Aber: Alle Hotelzimmer waren ausgebucht. Als Walter schon wieder nach Hause fahren wollte, sprang Else an einer roten Ampel aus dem Wagen und bat einen Polizisten um Hilfe. Dessen Tante hatte noch ein Fremdenzimmer frei.

Der Alltag: Walter braucht morgens Auswahl: Kaffee, Semmeln, Brezn, Wurst, Käse, Weißwürste und Ei. Else: „Dann fange ich an zu putzen.“ Zum Einkaufen muss Walter Else mit dem Auto fahren („Ich war immer eine sehr wilde Radlerin. Den Führerschein hab ich nie gemacht.“). Am Nachmittag geht Else zu den Nachbarn rüber und Walter in den Garten („Ich hab mir ein Hochbeet gebaut.“). Else: „Ab und zu einen Ausflug. Es ist eigentlich immer was los.“

Wie finden Sie Merkel? Else: „Die macht nicht nur leere Versprechungen.“ Walter: „Sie hat die ganze Sache gut im Griff und ist in der richtigen Partei.“

Wann sind sie glücklich? Else: „Wenn wir morgens gesund aufstehen.“ Walter: „Wenn die Sonne scheint und es ein gutes Frühstück gibt.“

Nächste Woche treffen wir Charlotte Schmidt und Gisela Wiehe in Müncheberg-Obersdorf, Landkreis Märkisch-Oderland. Wenn Sie auch von uns besucht werden möchten, schicken Sie uns eine Mail an

hausbesuch@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen