: Alte Spuren aufgefrischt
Hamburgs Polizei konnte im vorigen Jahr mit Hilfe der DNA-Technik mehrere lange zurückliegende Mordfälle aufklären. Dennoch sind DNA-Spuren zwar Indizien, aber nicht immer Beweise
von Kai von Appen
In jeder Folge des US-Kultkrimis Cold Case auf Kabel 1 steigt die schmarte Agentin Lilly Rush in den Keller der Polizeistation, um routinemäßig – oder aufgrund neuer Hinweise – alte Akten aus verstaubten Kartons zu kramen und ungelösten Mordfälle neu aufzurollen. Was im Film „frei erfunden“ scheint, ist bei der Mordkommission des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) seit 2000 Praxis. Die DNA-Technik macht’s möglich. Im vorigen Jahr konnten mehrere alte Mordfälle aufgeklärt werden.
Rückblende: Sommer 2001. Auf dem Strich in Hamburg St. Georg herrscht unter den Prostituierten Angst. Erst wurde die 19-jährige Sexarbeiterin Maria K. in einem Stundenhotel erwürgt aufgefunden. Nur sechs Tage später wird hundert Meter entfernt die Leiche der 22-jährigen Prostituierten Melanie R. in einem Abbruchhaus – dem so genannten „Horrorhaus von St. Georg“ – entdeckt. Ebenfalls erwürgt. Vieles spricht für denselben Täter. Jahrelang fandet die Polizei nach dem „Würger von St. Georg“, bis Serge K. im vorigen Mai im französischen Bordeaux festgenommen wird.
Doch schon zu diesem Zeitpunkt sind sich die Ermittler sicher, dass K. – der nach der Tötung von Maria K. im Hotel von einer Videokamera gefilmt worden war – für den zweiten Mord nicht in Betracht kommt. Die Fahnder haben den Hamburger Uwe L. im Visier. Er war 2003 wegen einer Vergewaltigung festgenommen und sein Genprofil in die DNA-Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) eingespeichert worden. Zwar konnte ihm das Sexualdelikt nicht nachgewiesen werden, es fanden sich aber DNA-Übereinstimmungen mit Spuren aus dem „Horrorhaus“. „Der Treffer beim Datenbank-Abgleich machte ihn jedoch nicht dringend tatverdächtig“, sagt Polizeisprecher Ralf Kunz. „Er besagte lediglich, dass er sich in dem Bürohaus einmal aufgehalten hatte.“ Verdächtig machte ihn vielmehr sein Beharren, er sei nie im „Horrorhaus“ gewesen.
Daraufhin werteten die Ermittler weitere Spuren aus. Kein einfaches Unterfangen. Denn der Tatort war 2001 ein beliebter Treff für Prostitutierte und Obdachlose. „Es fand sich eine weitere Spur,“ sagt Kunz, „die besagt, dass der Verdächtige tatzeitnah am Tatort war und zur Getöteten körperlich Kontakt hatte.“ Uwe L. ist vorletzte Woche festgenommen und mit den kriminaltechnischen Ergebnissen konfrontiert worden. Er schweigt.
Eine DNA-Analyse führt auch im Dezember zur Aufklärung eines fast 20 Jahre zurückliegenden Mordes. Am 8. März 1986 war morgens in einer Kita im Hamburger Schanzenpark die britische Studentin Helga Roberts vergewaltigt und ermordet worden. Die damals gefunden Tatortspuren waren dürftig. Verwertbare Sperma- und Blutspuren gab es nicht. Als ein Sachbearbeiter den Altfall 2003 routinemäßig neu aufrollt, holt er alte Spuren aus der Asservatenkammer und lässt DNA-Profile erstellen. So auch von Hautpartikeln, die unter Roberts Fingernägeln gefunden worden waren, aber damals nicht einmal zur Bestimmung der Blutgruppe ausreichten. Der Abgleich mit der BKA-Datenbank ist ein Volltreffer. Die DNA zeigt Übereinstimmung mit den Daten von Uwe H., der sich seit 1998 in der Psychiatrie des Klinikums Nord in Sicherheitsverwahrung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern befindet und der 1986 nur unweit des Tatortes wohnte. Eine erneute Speichelprobe gibt Sicherheit. H. beteuert, sich an die Tat „nicht zu erinnern“, gesteht aber Vergewaltigungs- und Mordphantasien zu dieser Zeit ein.
Die DNA-Analyse ist aber keine „Wunderwaffe“, warnen Kritiker. Missbrauch durch falsch gelegte Spuren von Kippen über Schweiß bis Haarenschuppen seien möglich. So hatte der Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, in der Debatte über die Ausweitung von DNA-Proben als erkennungsdienstliches Mittel schwere Bedenken geäußert. „Das zentrale Problem ist, dass DNA-Funde an einem Tatort überhaupt keine Aussage zum Täter zulassen“, so Weichert zur taz. Und auch der Kriminologe Heiner Busch von der Zeitschrift „Bürgerrechte und Polizei CILIP“ warnt. „Jemand, der am Tatort war, muss nicht der Täter sein.“
Und so könnte es im Fall der 41-Jährigen Brigitte F. gewesen sein, die im April 2005 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist. Die Ex-Hure, die heute verheiratet und Mutter zweier Kinder ist, war abrupt aus ihrer bürgerlichen Existenz gerissen worden, als sie aufgrund der DNA-Technik nun für den Mord an ihren Nachbarn vor 16 Jahren verantwortlich gemacht wurde. Obwohl Gericht und Staatsanwaltschaft davon ausgehen, dass F. damals im Drogenrausch die Morde an dem Rentnerpaar nicht allein verübt haben kann – und sie behauptet, der Täter sei ihr Ex-Freund gewesen –, waren 1988 nur ihre DNA-Spuren in der Wohnung gesichert worden.
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