: Ausgabenorgie des Bremer Senats
Betr.: taz bremen v. 30.12.: „Contra Bücking: Rückzug des Staates ist keine Alternative“
Joachim Schuster wirft Robert Bücking vor, bei der Einschätzung bremischer Realitäten von falschen finanzpolitischen Grundlagen auszugehen. Das ist von einem Abgeordneten der sehr großen bremischen Koalition allerdings sehr starker Tobak.
Das Haushaltsdefizit unseres Gemeinwesens ist von Beginn der sehr großen Koalition bis heute von ursprünglich circa 18 Milliarden Mark auf mittlerweile 12 Milliarden Euro gestiegen. Der bremische Haushalt ist um etwa ein Viertel unterfinanziert. Viele Menschen scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, was das konkret bedeutet: Würden wir alle Schulen schließen, alle Lehrer entlassen, die Hochschulen noch gleich mit dem Personal dazu geben, dann hätten wir wahrscheinlich die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben immer noch nicht geschlossen.
Das ist auch das Ergebnis illusionärer bremischer Haushaltspolitik. Als die sehr große Koalition damit begann, im Zusammenhang mit dem Symbol „sparen und investieren“ vom „Konzern Bremen“ zu reden, habe ich als damals verantwortlicher Oppositionspolitiker darum gebeten, doch zunächst einmal das zu tun, wozu jeder Konzern nach Handelsrecht verpflichtet ist: eine Eröffnungsbilanz aufzustellen und dabei mit den Passiva zu beginnen.
Das konnte die bremische Regierung nicht leisten, weil viele faktische Schulden nicht im regulären Haushalt sichtbar, sondern bei nachgeordneten Gesellschaften geparkt sind. Daraus und aus den vielen Modellen à la „sell and lease back“ (unter anderem Uni, Siemens-Hochhaus, CT III und IV) ergeben sich langfristige Zahlungsverpflichtungen, die in Form von konsumtiven Ausgaben den bremischen Haushalt über Jahrzehnte binden.
Es sind also nicht nur die zusätzlichen Zinsbelastungen aus den trotz circa neun Milliarden Sanierungshilfen des Bundes gestiegenen Schulden, es sind auch die Zahlungsverpflichtungen aus den windigen Finanzierungsmodellen und es sind erhebliche Zinsrisiken – wir haben derzeit immer noch eine Niedrigzinsphase – die faktisch den bremischen Staat handlungsunfähig machen – es sei denn, es werden weitere Verpflichtungen zu Lasten der künftigen Generationen eingegangen.
Die bremische Politik hat bis heute nicht zur Kenntnis genommen, dass letztlich nur ausgegeben werden kann, was vorher eingenommen worden ist. Selbst wenn die von Joachim Schuster immer noch gerechtfertigte Investitionspolitik so erfolgreich gewesen wäre, wie die sehr große Koalition es in ihren vollmundigen Versprechungen prognostiziert hat, wäre das Finanzloch in Bremen nicht beseitigt worden, denn Bremen hat kaum originäre Steuereinnahmen – es lebt von umverteilten Bundessteuern. Der als Ziel für die Ausgabenorgie des Bremer Senats angegebene Effekt höherer Steuereinnahmen konnte somit überhaupt nicht eintreten, zumal jede Verbesserung der bremischen Einnahmesituation gleichzeitig eine Kürzung bei den Zuweisungen im Länderfinanzausgleich beinhaltet. Aber mit diesen Kleinigkeiten wollten Schuster und Co sich in der Bürgerschaft ja nie aufhalten.
Natürlich ist das derzeitige Steuerverteilungssystem ungerecht, wird die reale Wirtschaftskraft unseres Bundeslandes nicht angemessen refinanziert. Wann aber hat die sehr große Koalition die Chancen genutzt, um hier strukturelle Änderungen zu erreichen? Sie hat sich mit hohlen Kanzlerbriefen abspeisen lassen, als sie in der Gesetzgebung benötigt wurde, sie hat nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern keine mit den anderen Stadtstaaten und dem Städtebund getragenen Initiative zur finanziellen Gesundung der Städte zustande gebracht.
Staatlicherseits sind die Handlungsspielräume zugunsten des sozialen Ausgleichs auf allen Ebenen nicht mehr gegeben. Ein Strategie über künftige Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens setzt voraus, sich diesen Realitäten als Ausgangsbedingung zu stellen, oder aber die einzige Konstante bremischer Politik wirkt weiterhin: die Illusion. So gesehen wird der Rückzug des Staates aus vielen gesellschaftlichen Bereichen zwangsläufig sein.
HELMUT ZACHAU, Bremen
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