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Schrumpfköpfe und andere Mitbringsel

Knapp zwei Jahre nach seiner Eröffnung ist das Hafenmuseum zwei große Schritte weitergekommen: Der Aufbau der Dauerausstellung steht vor dem Abschluss, zum anderen steigt mit der Hafenwirtschaft ein neuer (Mit-)Finanzier ein

Bremen taz ■ Fast 40.000 Interessierte sind bisher in das 2003 eröffnete Hafenmuseum im Speicher XI am ehemaligen Überseehafen gekommen. Ein „guter und konstanter Besucherstrom“, findet die Kunsthistorikerin Kathrin Golka, die die Einrichtung leitet. Damit ist sie eine von zwei fest angestellten Mitarbeitern des Hauses, schließlich ist der finanzielle Rahmen, in dem die 120-jährige Geschichte der stadtbremischen Häfen dargestellt wird, ziemlich eng.

Denn: Bei allem Besucherzuspruch kann mit den Einnahmen gerade mal ein Drittel des circa 200.00 Euro umfassenden Jahresbudgets aufgebracht werden. Schon eingerechnet sind die Erlöse aus dem Museumsshop, der neben gut sortierter maritimer Literatur auch leicht Verkäufliches wie Schokofische und Playmobil-Hafenkräne bietet. Bauunternehmer Klaus Hübotter, der den Speicher XI saniert hat und das Museum nach gescheiterten Kooperationsplänen mit dem Focke-Museum selbst betreibt, finanziert den Rest aus eigener Tasche.

Auf Förderanträge beim Kultursenator will Hübotter weiterhin verzichten. Umso glücklicher ist er über eine jetzt erzielte Vereinbarung mit dem Gesamthafenbetriebsverein und dem Unternehmensverband Bremische Häfen: Sie tragen dauerhaft 20 Prozent der laufenden Kosten. Diese Abmachung begründet Hübotter auch inhaltlich: Die Perspektive der Hafenarbeiterschaft sei im Museum schon „sehr gut vertreten“, nun sei es an der Zeit, auch den Firmen Platz einzuräumen. Dafür ist der Raum mit dem begehbaren Luftbild der stadtbremischen Häfen im Jahr 1974 vorgesehen, in dem bereits das beeindruckende Modell der Gröpelinger Getreideverkehrsanlage steht.

Wie sind inhaltliche Kollisionen bei dieser neuen Form der Zusammenarbeit zu vermeiden? Schließlich ist die realistische Darstellung von oftmals sehr harten Arbeitsbedingungen im Hafen möglicherweise nicht im Interesse der Unternehmenschronisten. Darüber sei in der Tat diskutiert worden, sagt Golka, „wir haben uns weder verkauft“, versichert Hübotter, noch habe es entsprechende Versuche gegeben. Im Übrigen seien die Beziehungen zur Hafenwirtschaft bereits jetzt sehr gut verankert.

In der Tat stammen viele der bislang gezeigten Exponate aus Firmenbesitz. Die konkrete Ausgestaltung der unternehmensgeschichtlichen Abteilung soll nun ein beidseitig besetzter Ausschuss klären. Hübotter selbst – „ich kann ja nicht plötzlich Museumsdirektor spielen“ – will sich weitgehend heraushalten. Als wissenschaftlicher Berater steht Hartmut Müller, der frühere Leiter des Bremer Staatsarchivs, zur Verfügung, die museumsdidaktische Arbeit wird, neben Golka, von einem Team dreier Kuratorinnen (Astrid Müller, Anne Schweisfurth und Claudia Seidel) auf Honorarbasis geleistet. Als glücklicher Griff hat sich erwiesen, dass der sehr versierten Geschichtswerkstatt des Waller Kulturzentrums „Brodelpott“ Räume im Museum zur Verfügung gestellt wurden.

Rund 1.500 Quadratmeter sind jetzt mit Exponaten bestückt, „Seefahrt und Sehnsucht“ heißt der letzte Teil der Dauerausstellung, der nun in Angriff genommen ist. Auf der technischen Seite ist zunächst mal die rasante Schiffsentwicklung der Nachkriegszeit nachzuvollziehen, also der alles verändernde Siegeszug der Container. Am (bisherigen) Ende steht das Modell der 2005 gebauten „Oceania“, die im Original mit 330 Metern nur 70 Meter kürzer als der gewaltige Riegel des gesamten Speicher XI ist.

Davor liegt der Kombi-Stückgutfrachter „Brandenburg“, der 1971 im englischen Kanal versank – weil er auf die senkrecht im Meeresboden steckenden Rumpfreste eines kurz zuvor gesunkenen Schiffes auffuhr. Solche anschaulichen Details erfährt freilich nur, wer sich durch die Ausstellung führen lässt – etwa von Hans Drechlser, früher Kapitän „auf großer Fahrt“, der mit Begeisterung beim Museum mitmacht.

Narrativer Leitfaden von „Seefahrt und Sehnsucht“ sind die Erinnerungen des früheren Schiffsjungen Erich Draschba, die exemplarisch nachzulesen sind. Sei es von den Fahrten ins Amazonas-Gebiet („immer wieder wurden uns Schrumpfköpfe zum Kauf angeboten“), der Äquatortaufe oder den besonderen Schwierigkeiten der Nahrungsaufnahme an Bord (siehe Kasten „Seefahrt live“). Bis Mai sollen noch Texte und Erinnerungsstücke ehemaliger Seeleute dazu gekommen – entsprechend dem „biografischen Forschungsansatz“, den sich das Haus auf die Fahnen geschrieben hat.

Der wird auch an den Hörstationen deutlich: Zeitzeugen – seien sie Stauer, Küper oder ehemalige Zwangsarbeiter – erzählen auf Band von ihren Erfahrungen. Ebenfalls sehr individuell ist das Dutzend Beiträge unter dem Titel „Mein Hafenmuseum“: ein Floßhaken etwa oder eine Sacknadel, mit der jemand seine Lehrzeit als Küper verbracht hat. Ein Ex-Stewart, Herr Reichl-Reichel, hat 49 Ringpaare beigesteuert – schließlich habe er sich im Lauf seiner Dienstzeit genauso oft „in Übersee“ verlobt. HB

Das Hafenmuseum im Speicher XI am ehemaligen Überseehafen ist Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet. Führungen können unter ☎ (0421) 30 38 279 gebucht werden, jeden Sonntag um 15 Uhr finden offene Führungen statt

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