piwik no script img

Lieber Mix als Gefühl

Der Trend geht zum Sampeln und zur Beschreibung des Tanzes von außen – sachlich, ironisch und mit offensichtlicher Angst vor zu viel Bedeutung und Emphase ködern die Tanztage ihr unterhaltungswilliges Publikum

Kein Zweifel, wir werden gebraucht. Selten wird ein Publikum so umworben wie zum Auftakt der Tanztage in den Sophiensälen. „Hier zu sein und Ihre Aufmerksamkeit zu haben, macht mein Leben richtig interessant“, bekennt Filippo Armati, der für sein 20-minütiges Solo „My Life As An Art Piece“ schon mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Von der Schweizer Autorengesellschaft. Solche Details und dass Armati in Bologna auch Philosophie studiert hat, erfährt man aus dem Kleingedruckten im Programmheft der Tanztage. Und weil man von den Auftretenden sonst fast nichts weiß, studiert man das jedes Mal mit gerunzelter Stirn.

Filippo Armati jedenfalls redet mindestens ebenso viel, wie er tanzt. Sein Solo ist ein beschleunigter Lauf über die Brücken, die sein Leben mit seiner Kunst verbinden. „Meine Bewegung ist das Ergebnis aller Bewegungen meines ganzen Lebens“, sagt er und switcht sich dann eben mal durch vier bis fünf Sportarten, Disco, Party, „making friends“ und Sex. Und weil das ebenso eine Verkürzung des Lebens wie der transformatorischen Prozesse des Tanzes ist, liegt ein ironischer Ton unter dieser verblüffenden Einfachheit. Eigentlich führt Armati den Wunsch nach Einverständnis mit dem Publikum als ein rührendes und fast schon ein wenig lächerliches Bündnis vor, entwaffnend in seiner Ehrlichkeit. Aber am Ende kneift er, als seine Rede auf die innere Bewegtheit kommt. Da zieht er es vor, zu verschwinden und der Musik die Vermittlung zu überlassen.

Der Musik zu übertragen, was man selbst nicht auszusprechen wagt: das ist auch die Strategie, die Felix Marchand in „Mixtape“ anspricht. „Mixtape“ wird die ganzen Tanztage über, bis zum 15. Januar, als Spätvorstellung für ein kleines Publikum laufen, das mit seinen Musikwünschen (aus vorbereitetem Material) den Abend strukturieren hilft. Auch Marchand redet die meiste Zeit und zieht eine Parallele zwischen der Arbeit an einem Mixtape und der Komposition von Bewegungsmaterial. Was sind gute Anfänge, wo ist ein Dynamikwechsel fällig, wo muss mehr Charakter herein, wann ist Raum-Greifen notwendig – allein unter der Kommentierung verkleinert sich zusehends das Gewicht des Tanzes. Er ist nicht mehr die Sache selbst, sondern gleicht mehr und mehr einem abgebildeten Gegenstand in einem Lehrbuch.

Die Tanztage, vor über zehn Jahren von Barbara Friedrichs im Pfefferberg gegründet, erfreuen sich gleichbleibenden Zuspruchs. Für Friedrichs war die Erfindung des kleinen Winterfestivals ihr Einsteig als Veranstalterin und Lobbyistin des Tanzes. Inzwischen taucht sie als Vorsitzende des „Dachverbandes zeitgenössischer Tanz“ überall dort auf, wo in der Kulturpolitik eine Stimme den Tanz vertreten muss. Das Festival hat sie deshalb jetzt einer Nachfolgerin übergeben, Inke Koks, einer holländischen Tanzveranstalterin. Das diesjährige Programm kuratierten beide Frauen zusammen.

Für die Arbeit von Hanna Hegenscheidt interessierten sich beide, deren Duett „I’m ok, you’re ok“ das Spiel, die Sollbruchstelle zwischen Tanz und Sprache auszuweiten, weitertrieb. Ein Paar redet über seine Liebe und kultiviert Erinnerung bis zum Exzess. Doch unter diesem Bündnis der Harmonie sorgen die körperlichen Ausbrüche ins Absurde, Gemeine und Komische für Irritation.

Alles ganz manierliche Appettithappen, die Hunger auf mehr – mehr Tanz und mehr Eigensinn – machen; das wäre in Ordnung, spürte man nicht, dass diese Bescheidenheit auch ein wenig aus der Not geboren ist: Man beschreibt die eigenen Mittel, als traue man ihnen nicht ganz.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Tanztage in den Sophiensälen, www.tanztage.de, ab Donnerstag „Junge Choreographen“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen