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Die große Leere der Hochqualifizierten

Bildung, Bildung, Bildung. So hämmert die Politik es den Lernenden ein, damit viel mehr von ihnen als bisher den akademischen Weg einschlagen. Viele Hochqualifizierte aber kennen eine andere Wahrheit als jene, die eine niedrige Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent bei Hochschulabsolventen suggeriert

VON ANNEGRET NILL

Frieda hat sich wieder als Studentin eingeschrieben. „Der Psychoterror mit dem Arbeitslosengeld II war mir zu viel“, sagt sie. „Ständig stand ich unter Druck, Nachweise für mich und meinen Sohn zu erbringen. Außerdem wollten sie mich in eine 1-Euro-Maßnahme stecken. Aber wenn man einmal in so einer Maßnahme steckt, kann man den Jobeinstieg knicken. Dann will einen auf dem ersten Arbeitsmarkt niemand mehr. Dafür habe ich nicht studiert.“

Frieda ist dreißig Jahre alt, Absolventin und allein erziehende Mutter eines Fünfjährigen. Sie hat Geografie und Spanisch studiert und im August 2004 ihr Studium abgeschlossen. Einen Einstieg in den Arbeitsmarkt fand sie: nicht.

Dieses Problem teilt sie mit rund 250.000 arbeitslos gemeldet Akademikern. Sie haben studiert, nebenher gejobbt oder Praktika gemacht und ihr Studium irgendwie über die Runden gebracht. Jetzt treffen sie auf einen übersättigten Arbeitsmarkt, der Hochschulabsolventen nur gerne nimmt – als Praktikanten. Das aber kann auch ein Problem sein. Denn wer ein Praktikum macht, ist in der Regel nicht arbeitslos gemeldet.

Politik und Medien verbreiten immer noch ein ganz anderes Bild. „Bildung, Bildung, Bildung“, schallt es seit der Pisastudie aus deren Munde. Das Stichwort Wissensgesellschaft geht um. Bildung und Qualifizierung werden als Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit beschworen.

„Die beste Zukunftsinvestition ist Bildung“, schreiben Alexander Reinberg und Markus Hummel im Arbeitsmarktmagazin Punkt. Sie verweisen darauf, dass die Jobs für niedrig Qualifizierte zunehmend weniger werden. Außerdem heißt es dort: Akademiker trügen ein wesentlich geringeres Armutsrisiko, seien seltener „unter Wert“ beschäftigt und verdienten besser. Die Autoren sind nicht allein. Mit ihnen beklagen so prominente Leute wie Jutta Allmendinger, Forschungschefin der Bundesagentur für Arbeit, dass in Deutschland viel zu wenige Schüler eines Jahrgangs ein Studium ergreifen. Hochschulbildung wird als der Königsweg aus Arbeitslosigkeit und materiellem Elend beschrieben. Die versteckte Joblosigkeit unter Akademikern legt den Schluss nahe: Die Futurologen machen es sich zu einfach.

Manja hat sich zwar nicht wieder als Studentin eingeschrieben. Arbeitslos gemeldet ist die Diplom-Medienberaterin aber auch nicht. „Wozu?“, fragt sie. „Auf Arbeitslosengeld habe ich sowieso keinen Anspruch, weil mein Freund, mit dem ich zusammenlebe, genug für uns beide verdient. Und die Hartz-IV-Bürokratie macht nur Stress und Druck, damit ich mich auf irgendwas bewerbe.“

4 % joblose Akademiker

Wie viele Absolventen es in Deutschland gibt, die wie Manja arbeitslos sind, sich aber nicht arbeitslos melden, weiß niemand. Die offiziellen Zahlen für die Gesamtzahl der Akademiker sind nicht sehr hoch: Im September 2005 waren laut Zentraler Arbeitsvermittlung (ZAV) rund 3,9 Prozent aller erwerbsfähigen Akademiker. Das ist wenig im Vergleich zu der 11-prozentigen Durchschnittsarbeitslosigkeit. Aber wie viel taugen die Angaben für Hochqualifizierte?

In der Quote nicht enthalten ist etwa die Anzahl der Akademiker, die sich in „unsicheren Beschäftigungsverhältnissen“ befinden, also Praktika machen, sich von Werkvertrag zu Werkvertrag hangeln oder einen Honorarjob nach dem anderen annehmen. Laut einer Statistik der Bundesanstalt für Arbeit befanden sich schon Ende der Neunzigerjahre 10,2 Prozent aller Akademiker in Westdeutschland und 14,2 Prozent in Ostdeutschland in solchen Beschäftigungsverhältnissen. Tendenz steigend.

Verlässliche aktuelle Daten über die Anzahl der Absolventen, die unter schlecht oder gar nicht bezahlten Praktikumsverhältnissen arbeiten, gibt es nicht. Dieses Jahr wird das Hochschulinformationssystem in Hannover erstmals repräsentativ das Problem beleuchten. Die Ergebnisse der jährlichen Absolventenbefragung allerdings werden erst im Frühjahr 2007 vorliegen. Die DGB-Jugend und die Hans-Böckler-Stiftung erstellen momentan eine Studie zur „Generation Praktikum“, deren Ergebnisse im Frühjahr 2006 vorliegen sollen. Vielleicht bringt das mehr Licht in das Ausmaß der Unsicherheit.

Julian hatte sich auf seine Promotion gefreut. Er war sich sicher, dass er mit einem sehr guten Uni-Abschluss leicht ein Stipendium finden würde. Da seine Eltern ihn zunächst weiter finanzierten, meldete er sich nach seinem Abschluss in Philosophie, Sozialwissenschaften und Politologie im Februar 2004 nicht arbeitslos. „Ich wollte meine Bewerbungen auf Stipendien in Ruhe vorbereiten. Das hätte ich als gemeldeter Arbeitsloser mit dem Zwang, mich für Jobs zu bewerben, nicht gekonnt. Und ich war überzeugt, es ginge nur um einen kurzen Zeitraum.“

Um zwölf Stipendien streiten sich aber selbst bei der eher kleinen Rosa-Luxemburg-Stiftung mittlerweile über 200 Bewerber. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung ist die Anzahl inzwischen so hoch, dass sie vor die übliche ausführliche Bewerbung eine Vorauswahl vorgeschaltet haben, um die Flut zu bewältigen. Auf einer Seite zusammengefasst soll das Promotionsvorhaben vorgestellt werden. Erst wer diese Runde übersteht, kann sich und sein Projekt ausführlicher vorstellen. Danach entscheidet sich, wer ein Stipendium bekommt.

Julians Promotionsentwurf überstand die erste Runde nicht. Auch bei der Luxemburg-Stiftung fiel er durchs Raster. Jetzt stehen noch zwei Bewerbungen aus. Die Chancen stehen schlecht.

Laut ZAV machen jährlich zwischen 200.000 und 230.000 Studierende ihren Abschluss, der sich mittlerweile in Diplom, Magister, Staatsexamen, Bachelor und Master auffächert. Dazu kommen ebenfalls jährlich circa 30.000 Doktoranden, die ihre Promotion beenden und auf den Arbeitsmarkt kommen. Auch hier ist die Tendenz steigend.

Manja ist trotz anhaltender Arbeitslosigkeit guter Dinge. Falls sie den Jobeinstieg in den nächsten Monaten nicht schafft, wird sie sich bei einer Zeitarbeitsfirma verdingen, bis sie ihren Traumjob findet. Praktika will sie keine mehr machen.

Psychisch angeschlagen

Frieda fühlt sich etwas ruhiger, seit sie sich wieder eingeschrieben hat, um das Staatsexamen nachzuholen. Ihr Tag hat wieder eine Struktur bekommen, und die Seminare in Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik bringen ihr zusätzliche Qualifikationen. Wenn alles gut geht, hilft ihr das beim Berufseinstieg als Coach oder Trainer in der Erwachsenenbildung.

Julian dagegen ist mittlerweile psychisch stark angeschlagen. Seine anfängliche Gewissheit ist nachhaltig erschüttert, er fühlt sich persönlich abgelehnt. Auf die beiden noch offenen Bewerbungen setzt er keine Hoffnung mehr. „Ich sehe für mich in Deutschland keine Perspektive mehr“, meint er. „Wahrscheinlich werde ich nächstes Jahr nach England gehen, wo ich an der Universität in Lancaster einen Doktorvater gefunden habe. Die Finanzierung ist zwar noch offen. Aber diese Unsicherheit ist mir immer noch lieber als das ständige Scheitern hier.“

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