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Lustverlust durch Lust

Das universell einsetzbare L-Wort ist mit großem Getöse auf dem medialen Vormarsch

Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis die Generation Lust die „Lust auf Lust“ propagiert

Nach den mit allerhand medialem Getöse feilgebotenen Gruppenetiketten „Generation X“, „Generation 78“ und „Generation Golf“ bis „Golf II“ ist seit geraumer Zeit eine neue Generation auf dem Vormarsch: die „Generation Lust“.

Den Anfang machte 1999 die RTL-Ansagerin Birgit Schrowange, die es nicht nur wagte, eine so genannte Autobiografie in Druck zu geben, sondern dieselbe auch noch „So viel Lust zu leben“ zu taufen – um damit nolens volens Signalgeberin für eine unterdessen zur landesweiten Bewegung angeschwollene Initiative zu werden, die sich das permanente Bekenntnis zur Lust an allem und auf jeden aufs Panier gepinselt hat.

Neben der Lust zu leben ist unter anderem, wenn nicht die Lust auf Frust, so aber die allgemeine, obgleich etwas diffuse „Lust auf mehr“ zu verzeichnen – sei’s, in strahlender Kombination mit dem ungebrochen kurrenten Epitheton „pur“, als Lust auf „mehr SPD pur“, wie die „Tagesschau“ bereits Anfang Juli 2003 meldete, sei’s, wie im selben Hitzemonat auf einem Werbeschild ausgerechnet vor einem Sonnenstudio im nordhessischen Volkmarsen zu lesen war, als „Lust auf Bräune“ – im Sinne einer gesteigert lustvollen Hautverschmurgelung.

Den nun nicht mehr länger subkutanen Trend zur „Lust auf Abnehmen“, „Lust auf Typographie“, „Lust auf Fun“, „Lust auf Weisheit“ (Welt der Frau), „Lust auf Suiten“ (jpc-Katalog), „Lust auf Geld & Business“ (www.lust-auf.ch) und, zu jener bekennt sich ein Reiseveranstalter, „Lust auf Qualität“ nahm alsdann die Fernsehmoderatorin Christine Westermann zum Anlass, um den Lustdiskurs zusammen mit Andrea Fischer und Dietrich Mattausch in einer leidenschaftlichen Talkrunde weiter zu vertiefen. „Lust ist was Leichtes“, wusste Westermann da zu sagen, worauf der Schauspieler Mattausch das Statement stemmte: „Lust ist, was man freiwillig macht“ – nämlich, stimmte die Exgesundheitsministerin zu, „Lust ist, was Menschen ganz, ganz furchtbar gern tun“.

Obwohl Frau Fischer zu bedenken gab: „Du kannst dir nicht jeden Tag die Lustfrage stellen“, faselt sich die Republik seither in einen wahren Lustrausch hinein, assistiert gar von Österreich. In Linz wirbt das Arbeitsamt für ein Ausbildungsprojekt mit dem Slogan „Lust auf Lehre“, weshalb das Sächsische Staatsministerium für Soziales simultan schier überströmt und eine unglaubliche „Lust auf Beruf“ verbreitet – was nicht weniger verspricht denn ein gerüttelt Maß „Lust auf Zukunft“, die zu befriedigen unter anderem die Website www.lustaufzukunft.de in Aussicht stellt. Da ist zu erfahren, dass ein „TrainerInnen- und KünstlerInnen-Netzwerk für kreative Prozessbegleitung“ das neuerdings von jedem geforderte „Lebensunternehmertum“ ins Werk richtet oder so ähnlich.

Das Leben der Plastilinwörter ist bewegt. Vor vier Jahren trat der Bundesausschuss der CDU mit dem Programm „Lust auf Familie, Lust auf Verantwortung“ auf den Plan, und derweil eine Friseurvereinigung gesteht, ihre Mitglieder hätten unheimlich „Lust auf Beraten und Verkaufen“, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis die Generation Lust das ganze Lustgewürge auf den Hegel’schen Begriff bringt und eine alles überdachende „Lust auf Lust“ propagiert. Und siehe, ebendies vollbrachte ja schon an Silvester 2002 der Bonner Pfarrer Wilfried Schumacher, der in seiner Predigt einen Liedbeitrag der Kölner Karnevalsband Die Höhner pries, folgenden Wortlauts: „Lust auf Leben, Lust auf Liebe, Lust auf Lust“.

Es liegt also Segen auf allem und allen – auf der multiplen Lust und auf den Lieben der angeschlossenen Generation ohnehin. JÜRGEN ROTH

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