: Von Calypso bis Gipsy-Pop
Aufgemöbelte Alltagsmoritaten
Richtige Calypso-Klänge hat man schon lange nicht mehr gehört. Seit den großen Zeiten von Harry Belafonte in den fünfziger Jahren ist das Traditionsgenre aus Trinidad und Tobago aber auch ziemlich aus der Mode gekommen. Doch mit dem Kanadier Drew Gonzales kommt nun ein Erneuerer um die Ecke gebogen, der sich aufgemacht hat, mit seiner Band Kobo Town den karibischen Stil von Grund auf zu entrümpeln.
Aufgewachsen in Port of Spain, in der gleichen Straße wie die Calypso-Legende Lord Kitchener, zog der junge Drew Gonzales als Teenager mit seiner Mutter nach Kanada. Dort ließ ihn der Calypso-Groove nicht mehr los. Mit seiner Band, die aus trinidadischen Expats besteht, dem renommierten Produzenten Ivan Duran aus Belize und der Chuzpe eines Straßenmusikers möbelt der Multiinstrumentalist seine Calypso-Kompositionen gehörig auf, lässt beschwipste Bläser, scheppernde Percussions und glückselige Gitarren erklingen und wagt Seitensprünge zu Ragga, Ska und Soca.
Seine kleinen Alltagsmoritaten drehen sich mal um einen geistig behinderten Flaschensammler, mal um Terrorparanoiker oder Elendstouristen im Slum. Während er mit Kobo Town das Genre musikalisch modernisiert, knüpft er mit glossierenden Zeitkommentaren und Sozialkritik wieder an dessen Ursprünge an. Eine charmante Wundertüte. ZD
Kobo Town: „Jumbie in the Jukebox“ (Cumbancha)
Ein Prost auf die Roma
Manche werfen dem serbischen Filmmusik-Komponisten und Balkan-Popstar Goran Bregovic („Time of the Gypsies“) vor, sich wie einst Elvis Presley schamlos bei einer anderen Musikkultur nur bedient zu haben. Doch in Zeiten wie diesen, in denen Roma in Osteuropa diskriminiert und von rechtsradikalen Schlägern verfolgt und in Westeuropa ausgewiesen werden, setzt er ein Statement der Solidarität. Mit „Champagne for Gypsies“ spricht Bregovic einen Toast auf die Minderheit aus, deren Musik ihn wie keine andere inspiriert hat – und umgibt sich mit Kollegen, die allesamt einen Roma-Hintergrund besitzen.
Mediterran beginnt das Album mit dem Rumba-Pop der unverwüstlichen Gipsy Kings, die für Stimmungshits wie „Bamboleo“ berüchtigt sind. Mit dem rumänischen Manele-Star Florin Salam taucht er tief in den Balkan ein, mit dem Schweizer Songwriter Stephan Eicher in alpenländische Folklore und Mundart. Dazwischen schiebt Bregovic noch eine berauschte Balkanversion des alten Partisanenschlagers „Bella Ciao“ und singt ein Duett mit der jungen Irin Selina O’Leary – der ersten „Fahrenden“ ihres Landes, die in der Carnegie Hall in London aufgetreten ist. Am harmonischsten gelingt das Zusammenspiel allerdings mit Eugene Hütz von der US-Band Gogol Bordello, mit dem Bregovic eine gewisse Punkattitüde teilt. BAX
Goran Bregovic: „Champagne for Gypsies“ (Mercury/Universal)
Sozialistische Völkerfreundschaft
Im ehemaligen Jugoslawien hatten die Roma eine Stimme. Anders als heute, wurden sie unter Tito als offizielle Minderheit anerkannt, der Staat förderte ihre Sprache und Kultur. Über Titos Allianz mit „blockfreien“ Staaten wie Indien kamen zudem Bollywood-Filme ins Land, durch die viele Roma-Musiker eine Verbindung zu ihrer indischen Herkunft aufzunehmen glaubten.
Der Sampler „Stand Up, People“ entführt auf eine faszinierende Zeitreise in jene Ära, als Roma-Stars wie Esma Redžepova und Saban Bajramovic am Anfang ihrer Karrieren begannen und die Musikszene des Vielvölkerstaats prägten. Die Macher der britischen Labels Vlax Records haben auf Flohmärkten gestöbert und sind tief ins Archiv hinabgeklettert. Die Songs, die sie gefunden haben, atmen ein unverkennbares Sixties-Feeling. Mal hört man das Echo indischer Filmsongs, mal von US-Schlagern, mal von türkischer Psychedelic heraus. Ein informatives Booklet rundet die Sache ab. Ein guter Grund, nostalgisch zu werden. BAX
Sampler: „Stand Up, People“ (Vlax Records/Asphalt Tango)
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