: Vorsichtiges Sondieren
Nach dem Wahlsieg der Hamas haben es weder die Palästinenser mit der Regierungsbildung noch die Israelis mit Maßnahmen besonders eilig
AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL
Einen Tag nach Verkündung der Wahlergebnisse kommt es in den Palästinensergebieten nach dem Freitagsgebet zu ersten Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden Fraktionen Hamas und Fatah. In Chan Junis im südlichen Gaza-Streifen gab es dabei drei Verletzte. An der politischen Front wird dagegen zunächst auf Leerlauf geschaltet. 76 der insgesamt 132 Parlamentssitze gingen an die radikalislamische Hamas, nur 43 an die bisherige Regierungspartei Fatah. Drei Sitze gingen an die Volksfront, drei an den Dritten Weg, acht an Unabhängige.
Die Palästinenser haben es mit der Bildung der neuen Regierung nicht eilig. Erst nach Vereidigung der neuen Abgeordneten wird Palästinenserpräsident Mahmud Abbas aller Wahrscheinlichkeit nach Ismail Hanijah, den Chef der Hamas in den Palästinensergebieten, mit der Nominierung der Minister beauftragen. Hanijah sagte gestern, er habe Abbas für dieses Wochenende um ein Treffen gebeten. Dabei solle über eine „politische Partnerschaft“ diskutiert werden. Die Hamas sucht eine Koalition mit anderen Gruppen. An einen zeitlichen Termin ist Abbas nicht gebunden, dennoch wird er wohl spätestens Anfang kommender Woche mit dem Wahlsieger zu Beratungen in Gaza zusammentreffen.
Auch Israels Politiker warten größtenteils erst einmal ab. Entschieden werden muss zuerst über die Zölle und Steuergelder in Höhe von monatlich rund 40 Millionen Euro, die Israel bislang regelmäßig überwiesen hat und möglicherweise fortan zurückhält. Diese Gelder machen ungefähr die Hälfte des gesamten palästinensischen Haushaltes aus.
Laut der Zeitung Ha’aretz zeigte sich das israelische Kabinett in einer Sondersitzung am Donnerstag interessiert daran, alle Leistungen an die palästinensische Autonomiebehörde aufrechtzuerhalten. Aus Kreisen des Verteidigungsministeriums sei dagegen die Empfehlung gekommen, die Überweisung der Steuergelder einzufrieren.
Moti Christal, ehemals Delegierter bei den Friedensgesprächen, warnte vor voreiligen Reaktionen und Verurteilungen. Immerhin sei es möglich, dass Israel nun zum ersten Mal „einen Partner habe, der die Ware auch liefern kann“. In diesem Sinne kommentierte auch die auflagenstärkste Tageszeitung Yediot Achronot am Freitag, dass sich nun die Palästinenserführung nicht länger hinter dem Mangel an Kontrolle über die Oppositionsgruppen verstecken könne. „Kein Staat auf der Welt wird einen in die Luft gesprengten Autobus in Kauf nehmen, für den eine Regierungspartei verantwortlich ist“, so Autor Schai Niw.
Ohne Zweifel wird die politische Wende der Palästinenser eine Rolle im israelischen Wahlkampf spielen. „Hamastan“, so nannte Likud-Chef Benjamin Netanjahu den neuen Nachbarn. Netanjahu machte die israelische Regierung dafür verantwortlich, mit dem „unilateralen Abzug den Hamas-Terror“ belohnt zu haben. Die zwei anderen Anwärter auf den Premierministerposten, Ehud Olmert von der aussichtsreichsten Fraktion Kadima und Amir Peretz, Chef der Arbeitspartei, verzichteten auf die Suche nach Schuldigen und beeilten sich stattdessen damit, Verhandlungen mit der Hamas erneut auszuschließen.
Abbas erwägt derzeit eine Art politischen Bypass via Verhandlungen ohne die Regierung in Ramallah. Ein Friedensvertrag kann von palästinensischer Seite aus ohnehin nur von der PLO unterzeichnet werden, die auch die Exilpalästinenser vertritt. Selbst wenn Abbas sein Amt als Palästinenserpräsident aufgrund des für seine Partei fatalen Wahlergebnisses abgeben sollte, könnte er in seiner Funktion als PLO-Chef die Verhandlungen mit Israel fortsetzen.
Laut einer noch vor Veröffentlichung der palästinensischen Wahlergebnisse erfolgten Umfrage plädieren 48 Prozent der israelischen Bevölkerung für Gespräche mit einer Regierung der Hamas, 67 Prozent sind es sogar, wenn die Hamas nur einen Teil der palästinensischen Regierung gestellt hätte, so berichtet die Yediot Achronot in ihrer Wochenendausgabe.
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