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Europa für 87 Euro

Die EU ist für die Deutschen ein gutes Geschäft, eines, das noch besser werden könnte

VON SABINE HERRE

Das Image der EU in Deutschland ist schlecht. Nur noch 46 Prozent der Bundesbürger, so das letzte Woche veröffentlichte „Eurobarometer“, sind der Ansicht, dass die Mitgliedschaft in der Union Deutschland Vorteile bringe. Jahrelang lag die Zustimmung bei rund 60 Prozent.

Bereits im Sommer 2005 hatte das Netzwerk Europäische Bewegung und die Europa-Union Deutschland deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, die einmal grundsätzlich untersuchen sollte, welche Kosten und welchen Nutzen Deutschland von seiner Mitgliedschaft in der EU hat. Eine ähnliche wissenschaftliche Arbeit war zuletzt 1984 erstellt worden, also lange vor Binnenmarkt, Währungsunion und Osterweiterung. Folgerichtig lautet denn auch der Titel der von den beiden Kölner Europaexperten Wolfgang Wessels und Udo Diedrichs herausgegebenen Studie: „Die neue Europäische Union: im vitalen Interesse Deutschlands?“

Bei der Beantwortung dieser Frage tun sich die insgesamt acht Wissenschaftler freilich nicht leicht. Müssen sie doch alle mit einem grundsätzlichen Problem umgehen, das einer von ihnen so zusammenfasst: „Da die EU nun einmal existiert, fällt es ausgesprochen schwer abzuschätzen, wie die Mitgliedsländer ohne sie dastünden.“ Und so finden sich auf den 160 Seiten auffallend oft Formulierungen wie „dürfte“, „könnte“, „sollte profitiert haben“. Rolf Sternberg von der Uni Hannover stellt unumwunden fest: „Es existiert keine überzeugende empirische Gesamtbilanz der wirtschaftlichen Effekte der europäischen Integration.“

So war es denn auch kein Wissenschaftler, sondern der konservative Europaabgeordnete Elmar Brok, der bei der gestrigen Vorstellung der Studie in Berlin am überzeugendsten begründete, warum sich die EU für Deutschland rechnet: „Deutschland zahlte 2004 einen Nettobetrag von 7,1 Milliarden Euro in den EU-Haushalt ein. Europa kostet jeden Bundesbürger somit 87 Euro. Für den Verteidigungshaushalt muss er mehr als dreimal so viel hinlegen.“ Doch Brok geht noch einen Schritt weiter: Zum einen werde Europa für Deutschland immer billiger, der Nettobeitrag sei in den letzten Jahren um rund 3 Milliarden gesunken. Zum anderen erwirtschafte Deutschland mit seinen EU-Partnern einen Handelsbilanzüberschuss von rund 120 Milliarden Euro. Elmar Brok: „Das beste Geschäft in der deutschen Geschichte ist unsere EU-Mitgliedschaft.“

Für den Arbeiter von Volkswagen oder AEG, der die Verlagerung seines Arbeitsplatzes nach Osteuropa fürchtet, dürfte dies zumindest zurzeit schwer zu verstehen sein. Und so wäre es sinnvoll gewesen, wenn die Studie einige neue Daten zu den Auswirkungen der Osterweiterung auf den deutschen Arbeitsmarkt geliefert hätte. Es findet sich aber lediglich die Zahl von 380.000 Arbeitsplätzen, die in den letzten 25 Jahren von deutschen Investoren in Osteuropa geschaffen wurden – was aber ja noch nichts über Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland sagt. Angeführt wird eine Umfrage des Ifo-Instituts, aus der hervorgeht, dass bereits 25 Prozent der deutschen Unternehmer Betriebsteile ostwärts verlagert und weitere 12 Prozent eine solche Verlagerung vorhätten. Bei 50 Prozent der Betriebe, die bereits in den neuen EU-Ländern investiert haben, hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland verringert, bei 11 Prozent erhöht.

Gerade das Beispiel Osteuropa wirft aber auch eine grundsätzliche Frage über den Sinn einer solchen Studie auf. Ist es überhaupt legitim, angesichts von sechzig Jahren stabiler Nachkriegsordnung sowie der Wiedervereinigung des Kontinents eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung der EU zu erstellen? Wessels/Diedrichs geben darauf diese Antwort: „Integration sollte nicht ausschließlich als Kosten-Nutzen-Ausgleich verstanden werden, ohne einen ausreichenden Nutzen wird ein Mitgliedstaat auf die Dauer aber nicht bereit sein, die Europäische Union mitzutragen.“

Doch kann man den Nutzen, den die Bundesrepublik zum Beispiel von einer gemeinsamen Außenpolitik der EU hat, überhaupt bewerten? Was wiegt schwerer: Souveränitätsverzicht oder gemeinsames Auftreten zum Beispiel bei WTO-Verhandlungen? Eine Frage, die Diedrichs so beantwortet: „Die EU erhöht die Wirkung Deutschlands in der internationalen Politik und verhilft dem Land zu Möglichkeiten der Einflussnahme, die es als europäische Mittelmacht kaum ausüben könnte.“ Andererseits, so der Autor, könnte das Mittragen von EU-Entscheidungen gegen eigene Interessen der „Ernstfall“ für die gemeinsame Außenpolitik sein. Zugespitzt formuliert: Will Berlin wirklich eine gemeinsame EU-Außenpolitik, muss es deutsche Interessen schon mal hintanstellen.

Die gestern in der Berliner Vertretung der EU-Kommission vorgestellte Studie bleibt daher nicht allein bei der Analyse, sondern macht Vorschläge für eine effektivere deutsche EU-Politik. Die derzeitige Situation, in der nicht nur verschiedene Ministerien, sondern auch die Bundesländer ihre jeweiligen Positionen in Brüssel vertreten, könne nicht länger hingenommen werden. Notwendig sei eine stärkere Koordinierung europapolitischer Entscheidungen im Bundeskanzleramt. Die Höhe der Kosten der EU-Mitgliedschaft Deutschland sei schließlich nicht „schicksalshaft“, sondern könne von den deutschen Politikern zu einem „erheblichen Teil mitbestimmt werden“.

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