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Servicewüste Job-Center

Während die Berliner Arbeitsagenturen im vergangenen Jahr ihren Service verbesserten, hakt esbei den Hartz-IV-Behörden weiter. Jetzt sollen die so genannten Job-Center mehr Spielraum kriegen

von RICHARD ROTHER

Die Arbeitsmarktreform Hartz IV teilt Erwerbslose in gute und weniger gute Arbeitslose – diesen Eindruck kann zumindest ein Besuch bei den Behörden vermitteln. Die Arbeitsagentur in der Kreuzberger Charlottenstraße zum Beispiel, die für Arbeitslosengeld-I-Empfänger zuständig ist, präsentierte sich gestern zur Mittagszeit durchaus ansprechend: In dem großen Empfangsbereich wartet ein Dutzend Ratsuchende, es geht zügig voran. Ganz anders im Almosenamt, die Job-Center genannte Behörde für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die sich wenige hundert Meter weiter in der Kochstraße befindet. In der engen Empfangshalle drängeln sich etwa hundert Menschen, die Wartezeit beträgt mindestens eine halbe Stunde.

„Komm aus’m Knick“, herrscht einer aus der langen Schlange seinen Vordermann an, als der sich nicht schnell genug vorwärts bewegt. Auch der Wachmann am Eingang hat alle Hände voll zu tun, die Ratsuchenden in die richtigen Räume zu schleusen und aufkommenden Aggressionen den Wind aus den Segeln zu nehmen – das Ambiente jedenfalls trägt nicht zur Entspannung bei.

Dass man Arbeitslosen den notwendigen Behördengang auch angenehmer machen kann, zeigen die Erfahrungen in den Arbeitsagenturen, die das Arbeitslosengeld I auszahlen. „Die Zahl der positiven Reaktionen übersteigt mittlerweile die der negativen“, sagte gestern der Geschäftsführer der Arbeitsagentur Berlin Süd, Konrad Tack. Das klingt überraschend. Aber die Arbeitsagenturen haben sich im vergangenen Jahr, das laut Tack ein „Jahr des Aufbaus und der Umstrukturierung“ war, grundlegend verändert. Wer heute arbeitslos wird, bekommt nach einer Erstberatung einen Termin beim Arbeitsvermittler.

Liegen alle Unterlagen vor, wird bei diesem Termin das künftige Arbeitslosengeld I errechnet, und der Arbeitslose kann seinen Bescheid mitnehmen. Viele der weiteren Probleme, etwa Urlaube oder Ummeldungen, könnten dann telefonisch geklärt werden, so die Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Mitte, Ramona Schröder. Das Ganze klappe einigermaßen reibungslos, berichten Betroffene, auch wenn man einige Minuten in der Warteschleife hänge.

Wer allerdings das Pech hat, nach einem Jahr mit Arbeitslosgeld I keinen Job gefunden zu haben, muss ins so genannte Job-Center – und damit in eine andere Welt. Der Antrag auf Arbeitslosengeld II, das nur Bedürftige bekommen, ist nicht nur umfangreicher als beim Arbeitslosengeld I – der gesamte Service ist schlechter. Die Behörden liegen, wie etwa in Mitte, am Rande des Stadtteils, sie sind oft überfüllt, und Betroffene berichten immer wieder über Schwierigkeiten. In diesem Monat habe er schon zum zweiten Mal hintereinander sein Geld nicht überwiesen bekommen, berichtet etwa Manfred Schlüter aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Immer wieder müsse er um die Auszahlung kämpfen, er erhalte nur Abschläge.

Eine kleine Probe aufs Exempel mag die strukturelle Ungleichheit zwischen ALG I und ALG II illustrieren: Während das Callcenter der Arbeitsagentur gestern Nachmittag und gestern Abend jeweils nach drei Minuten Wartezeit erreichbar war, blieb die Nummer des Callcenters des Job-Centers Friedrichshain-Kreuzberg permanent besetzt. In beiden berlinweiten Callcentern arbeiten knapp 170 Menschen – obwohl es deutlich mehr Arbeitslosengeld-II- als Arbeitslosengeld-I-Bezieher gibt.

Vielleicht ändert sich das Ganze ja im März ein wenig. Dann bekommen die Job-Center, die von Arbeitsagenturen und Bezirken getragen werden, mehr Spielraum bei Personalfragen und Geldausgaben. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichneten gestern der Senat und die Regionaldirektion der Arbeitsagentur.

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