piwik no script img

Wer gärtnern will, muss ja säen

GARTENBAU Mit dem Himmelbeet hat auch der Wedding sein Urban-Gardening-Projekt – und mit einem begrünten Parkdeck eine Vision

Das Himmelbeet

■ Am 16. Juni ab 10 Uhr wird der Himmelbeet-Gemeinschaftsgarten in Wedding in der Ruheplatzstraße 12, Nähe Leopoldplatz, eröffnet. Öffnungszeiten des Gartens täglich 10 bis 20 Uhr.

■ Jeden Freitag gibt es im Garten von 16 bis 18 Uhr eine Himmelbeet-Sprechstunde. Und ein Spendenkonto gibt es auch: bei der GLS Gemeinschaftsbank, Kontonummer 1 142 675 201, Bankleitzahl 430 609 67. Mehr Informationen: www.himmelbeet.com

VON TINA VEIHELMANN

Immer wieder greift Wind unter den Schirm und weht eine Dusche Regen heran. Als Sarah, Maria und Nico an diesem Tag zum Angärtnern aufbrechen wollten, hatten sie morgens aus dem Fenster geschaut und waren sicher, dass die Sache ausfallen würde. Doch dann hatten sie den Schirm eingepackt und waren doch losgezogen. Sie stellten den Schirm, der eigentlich ein Sonnenschirm ist, vor ihrem Hochbeet auf und pflanzten und modderten mehrere Stunden lang. Am Ende hatten alle regenkalte, aber glückliche Gesichter – und waren sich einig, dass das ein toller Tag gewesen war.

So geht eigentlich die ganze Geschichte des Weddinger Himmelbeets. Es sieht schlecht aus, und dann geht es doch, nur anders. Das „Himmelbeet“ ist ein neues Urban-Gardening-Projekt, das demnächst auf einer Brachfläche am Leopoldplatz eröffnen wird. Aber es will noch viel höher hinaus.

Eigentlich hätten die Setzlinge des Himmelbeets nämlich hoch oben eingepflanzt werden sollen: Die große Idee ist, das Dach des „Schiller Park Centers“ in der Müllerstraße zum Gemeinschaftsgarten zu machen. Dessen Dach ist ein Parkdeck. Und dieses ist eine Planungsbrache. Die Investoren des Centers hatten offenbar nicht bedacht, dass in Berlin nur rund jeder zweite Haushalt ein Auto besitzt, dass viele Weddinger ihre Einkäufe zu Fuß erledigen – und hatten zu viele Parkflächen geplant. 1.200 Quadratmeter Asphalt unter Berlins Himmel liegen ungenutzt da. „Genau das Richtige für einen urbanen Garten“, dachte sich die Himmelbeet-Initiatorin Hannah Lisa Linsmaier, eine zierliche Frau, die an diesem regnerischen Tag wie alle anderen Gummistiefel trägt.

Ein sehr besonderer, typisch Weddinger Urban Garden sollte es werden – mit Kaufcenterflair und Bowlingbahn in den unteren Etagen und mit Wildkräutern, Bienen, gesundem Essen und Tangoabenden ganz oben. Wie in den Kreuzberger Prinzessinnengärten würde es Gemeinschaftsgärten geben, in denen die Weddinger unentgeltlich gärtnern – in weiteren „Pachtbeeten“ bauen Interessenten gegen einen Obolus ihr eigenes Gemüse an. Die Einnahmen aus beidem fließen dann in soziale Projekte des Gartens.

Das Ganze hätte viele Vorteile: Das Mikroklima würde sich verbessern, das Dach würde sich im Sommer weniger aufheizen, Feinstaub würde gebunden werden, man könnte Abwässer recyceln, und im Park Center könnte man neben Discounterware auch Gemüse „aus eigenem Anbau“ verkaufen.

„Der Gartenkalender richtet sich nicht nach einer Baugenehmigung“

HANNAH LINSMAIER VOM HIMMELBEET

Hannah Linsmaier und ihre Mitstreiter nahmen Kontakt zur Hauptmieterin des Parkdecks auf: der Supermarktkette Real. Real mochte die Idee des Gartens. Dann wurde eine gemeinnützige GmbH gegründet, und im Herbst vergangenen Jahres sollte ein Mietvertrag unterschrieben werden.

Aber so einfach ging es nicht: Denn wer eine Fläche für einen anderen Zweck umnutzen will, braucht eine Baugenehmigung. Und wer ein Parkdeck auf einem Dach ausgerechnet in einen Gemeinschaftsgarten verwandeln will, der muss eine ganze Reihe kniffeliger Lösungen finden: „Da stellen sich zum Beispiel statische Fragen“, sagt Linsmaier. „Und das alles war viel komplexer, als wir gedacht hatten.“ Zum Beispiel ist Erde viel schwerer, als die meisten Leute glauben – während parkende, leere Autos weit leichter sind. Und wenn sich Menschen versammeln können sollen, muss der Grund belastbarer sein, als wenn sie nur ab und an vom Auto zum Aufzug gehen.

Das Himmelbeet holte sich das Architekturbüro „raumstar*architekten“ ins Boot, und sie fanden Ideen und Wege – und dann wiederum neue. Der Herbst ging, der Winter kam. Die Erteilung der ersehnten Baugenehmigung verzögerte sich. Nachdem Fragen der Statik geklärt waren, blieben Fragen des Brandschutzes offen – eine bürokratische Mühle, die mahlt. Nur: mittlerweile begann schon die neue Gartensaison.

„Wir mussten anfangen“, sagt Hannah Linsmaier, während sie durch Pfützen tappt und stolz Hochbeete zeigt. „Denn wer gärtnern will, muss ja säen. Und der Gartenkalender richtet sich nicht nach einer Baugenehmigung.“ Was tun? Die Himmelbeetler füllten Erde und Samen in Plastikbecher und gaben die Keimlinge auf einem großen Wochenmarkt an die Weddinger ab. „Auf jedem Balkon ein Stück Himmelbeet“, war der Slogan. Und die Becher mit Zucchini und Gartenmelde gingen weg wie warme Semmeln. Rund 600 Himmelbeet-Blumentöpfe standen am Abend in WG-Küchen und auf Fensterbänken. Auch die Weddinger mochten offensichtlich den Garten. Nur einen Ort gab es noch nicht. „Und den brauchten wir.“ Denn Zucchini wachsen sehr schnell.

Schließlich fand sich eine Zwischenlösung. Sie ist bodennah, 1.700 Quadratmeter groß, stadteigen und liegt am Leopoldplatz. Früher war sie – genau wie das Schillercenterdach – einmal ein Parkplatz gewesen. Dann war sie ein Trödelmarkt, dann war sie leer.

Tag der Stadtnatur

■ Am 15. und 16. Juni ist wieder der „Lange Tag der Stadtnatur“ mit 400 Veranstaltungen an 130 Orten in Berlin. Ein Überblick findet sich auf langertagderstadtnatur.de.

■ Wie in den letzten Jahren ist Veolia Wasser Hauptsponsor der Veranstaltung der Stiftung Naturschutz. Dies hat vor dem Hintergrund der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und der europäischen Petition „Wasser ist Menschenrecht“ unter beteiligten urbanen Gärten Fragen aufgeworfen: Inwieweit ist die Sorge um die Stadtnatur vereinbar mit der Privatisierung von Gemeingütern wie Wasser, öffentlichen Liegenschaften oder Energieversorgung? Dient eine profitorientierte Bewirtschaftung solcher Güter langfristig dem Wohle des Gemeinwesens und der Umwelt? Dazu gibt es am Samstag, 15. Juni, im Prinzessinnengarten am Moritzplatz eine Diskussion: „Commons vs. Privatisierung“. Ab 20.30 Uhr debattieren u. a. der Veolia-Pressesprecher und Vertreter des Berliner Wassertisches.

Als die Himmelbeetler erst die Zusage und dann den Schlüssel bekamen, konnten sie es erst kaum glauben. „Wir dachten: Erst wenn wir dort pflanzen, glauben wir es“, erinnert sich Hannah Linsmaier. Dann fuhren LKWs an und luden Erde ab. Dann Strauchschnitt, Grünschnitt, Rotte und Europaletten für die Hochbeete. Seit Ende Mai wird nun gebaut und gewerkelt. Die Himmelbeetler, die mittlerweile eine feste Gruppe von elf Menschen sind, haben Helfer bekommen – etwa 20 junge und ältere Nachbarn kommen täglich und fassen mit an.

Yussuf und Cansu, elf und acht Jahre alt, kommen täglich. „Weil wir gern Schubkarre fahren“, sagt Yussuf, der mit beiden Gummistiefeln tief im Schlamm steht und längst erdschwarze Hände und Hosen hat. Sarah, Maria und Nico kommen auch. „Wir machen mit, weil wir an das Himmelbeet glauben“, sagt Sarah. „Wir wohnen im Haus gegenüber vom Schiller Center. Abends kochen, merken, dass Kräuter fehlen, dann den Warenhausaufzug nehmen – und auf dem Kaufhausdach oben Schnittlauch abschneiden – das fanden wir einfach eine Superidee.“

Ob das Beet in der nächsten Saison seinen Weg in den Himmel schafft? Hannah Linsmaier ist sich fast sicher. Nur die Fragen des Brandschutzes sind eben noch zu klären.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen