: Jetzt auch noch Angst vor Vogelgrippe im Irak
Im Nordirak sind ein Mädchen und möglicherweise ihr Onkel am H5N1-Virus gestorben. Jetzt wird Geflügel vernichtet
SERKEPKAN taz ■ Es ist früh am Morgen, die meisten Menschen schlafen noch. Doch im Radiosender Nawa laufen die Warnungen zur Vogelgrippe bereits im Viertelstundentakt. Am Donnerstag bestätigte die Weltgesundheitsorganisation, dass ein 15-jähriges Mädchens aus dem Landkreis Rania am 17. Januar am Vogelgrippevirus H5N1 starb. Dies hätten Tests in London ergeben. Nach Tests im Irak und Jordanien gingen die Behörden erst von schwerer Lungenentzündung als Todesursache aus. Bei ihrem Onkel, der letzte Woche starb, besteht H5N1-Verdacht. Das Testresultat steht noch aus.
In Rania will man jedoch kein Risiko eingehen. Nach Bekanntwerden der Testergebnisse beschlossen die Behörden, den gesamten Geflügelbestand der Region zu vernichten. In mehreren Dörfern von Rania sei das Geflügel schon vernichtet, sagt der Leiter der Landwirtschaftsbehörde, Mohammed Hadschi Hamed Amin. Zehntausende Hühner, Enten, Gänse und Truthähne werden in der Region, die sich bis zur iranischen Grenze erstreckt, der Massentötung zum Opfer fallen.
Im Dorf Serkepkan, von wo die 15-jährige Schengin Abdul Kadir und ihr Onkel Hama Sur stammten, fühlt man sich von den Behörden im Stich gelassen. Kurz vor Weihnachten verendeten die ersten Hühner. „Wir haben die Behörden informiert“, sagt Kadir Abdul Kadir. „Niemand hat sich interessiert. Stattdessen sagten sie uns, wir sollen uns keine Sorgen machen.“
Im Hof der Familie haben sich Männer aus dem Dorf zur traditionellen Trauerzeremonie versammelt. In einem Raum sitzende dutzende Frauen um die trauernde Witwe. Keiner hat ein gutes Wort für die Behörden. Nicht nur, dass man ihre Sorgen nicht ernst genommen habe, sagt Kadir. „Sie behandeln uns wie Aussätzige.“
Im fünf Kilometer entfernten Rania würde man jeden meiden, der aus Serkepkan kommt, sagt der Bruder von Hama Sur. Keiner wolle ihm mehr die Hand geben. In der Schule ließen Lehrer durchblicken, dass sie Kinder nicht dabeihaben wollen, sagt Hendrin, Haman Surs ältester Sohn. „Wir können uns nirgends mehr blicken lassen, ohne dass man uns scheel anschaut.“
Die Politiker wollen den Vorwurf, zu spät reagiert zu haben, nicht auf sich sitzen lassen. „Wir haben sofort alle Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen“, sagt Landwirtschaftsminister Schamal Abdul Wafa. Die Regierung in Bagdad habe 46 Millionen Dollar und die kurdische Regionalregierung weitere 4 Millionen bereitgestellt. „Bislang wurde aber kein Tier positiv getestet.“ Laut Gesundheitsministerium in Bagdad wurde indes an 3 von 7 getesteten Hühnern aus Serkepkan das Vogelgrippevirus festgestellt.
Ärzte warnen, im Ernstfall gebe es nicht genug Medikamente. Eine groß angekündigte Lieferung, die am Dienstag in Erbil eintreffen sollte, stellte sich als schuhschachtelgroße Packung von 50 Dosen heraus. Den Ärzten fehlten technische Instrumente, um die Seuche zu erkennen, sagt Doktor Burhan. Auch herrsche Mangel an Schutzkleidung.
Mit einem Team aus acht Polizisten und einem Mitarbeiter der Landwirtschaftsbehörde fahren wir in das Tal, das sich im Westen von Serkepkan erstreckt. Malerisch liegen die Dörfer zwischen hohen, schneebedeckten Bergketten. Im ersten Dorf geht alles gut. Es dauert kaum eine Viertelstunde, dann sind Hühner und Enten getötet, in weiße Plastiksäcke gestopft und auf den Traktor geladen. Im nächsten Dorf haben die Polizisten weniger Glück. In ihren blauen Overalls jagen sie mit Stöcken den Hühnern nach. Von allen Seiten ertönt ein Quietschen und Kreischen, das durch Mark und Bein geht. Seit morgens um acht sind die Polizisten schon im Einsatz. Kaum einer ist älter als 20. Zwar tragen alle Atemmasken, aber längst nicht alle haben Overalls und Gummihandschuhe bekommen. Bei einigen sind die Handschuhe bereits durchlöchert. Nein, leicht falle ihm der Job nicht, sagt Schaho.
Bedrückt schaut Fatem Rasul den Polizisten zu. Sie wollte ihre sieben Truthähne und zehn Hühner nicht rausrücken, auch gegen die Vernichtung der bereits gekochten Hühner wehrt sie sich. „Die armen Tiere“, sagt sie. Doch die Geflügeljäger machen keine Ausnahme. Selbst in den Kühlschränken sehen sie nach. In wenigen Minuten verliert Fatem Rasul ihr kleines Zusatzeinkommen. Jetzt hofft sie auf die Entschädigung der Regierung. Doch wie hoch die ausfällt, steht noch nicht fest.
Am Checkpoint am Talausgang wird jedes Fahrzeug mit Desinfektionsmittel besprüht. Vor der Moschee zieht sich eine lange Blutspur hin. Es ist kein Hühnerblut. Die Dorfbewohner haben Ochsen geschlachtet, um weiteres Unheil von ihrem Tal abzuwenden. INGA ROGG
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