piwik no script img

Amerika, hast du es besser?

WISSEN Die Hälfte der Deutschen steht auf Naturheilkunde, Akupunktur oder Homöopathie. Doch in Sachen Forschung hat es die Alternativmedizin hierzulande schwer

„Die Gesundheitspolitik in den USA hat den Stellenwert der Komplementärmedizin schon vor 20 Jahren erkannt“

CLAUDIA WITT, PROFESSORIN FÜR KOMPLEMENTÄRMEDIZIN

VON CHRISTOPH RASCH

Jeder fünfte Allgemeinmediziner akupunktiert. Aber universitäre Forschungseinrichtungen, die Methodik und Wirkung der komplementärmedizinischen Therapien untersuchen, lassen sich fast an zwei Händen abzählen. „Die Komplementärmedizin ist ein stark vernachlässigtes Forschungsgebiet“, heißt es vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Auch die komplementärmedizinischen Ärzte selber fordern, die Wirkungsmechanismen ihrer Heilmethoden näher zu beleuchten. Nicht zuletzt, um ihre Arbeit zumindest teilweise auf wissenschaftlich fundierte Grundlagen zu stellen.

Angesichts der Millionen von Versicherten, die mit Pflanzenpräparaten, Akupunktur oder Globuli gute Erfahrungen gemacht haben, wird vor allem der Ruf nach einer angemessenen Forschungsförderung immer lauter, einer Finanzierung, wie sie zum Beispiel in den USA gang und gäbe ist. „Dort ist die Forschung zur Komplementärmedizin deutlich stärker institutionalisiert, allein 55 universitäre Einrichtungen sind in einem gemeinsamen nationalen Verband organisiert“, berichtet die Berliner Ärztin Claudia Witt.

Sie kennt die Forschungslandschaften dies- und jenseits des Atlantiks seit Jahren aus eigener wissenschaftlicher Erfahrung. Die Ärztin und Epidemiologin hat eine der wenigen deutschen Professuren für Komplementärmedizin, forscht und publiziert an der Berliner Charité. Daneben ist die 44-Jährige sowohl Gastprofessorin an der Universität von Maryland ist als auch Fellow am Center for Medical Technology in Baltimore. Hier wie dort werden vor allem Effektivität und Sicherheit der Komplementärmedizin untersucht, aber auch Forschungsmethoden weiterentwickelt.

„Die Gesundheitspolitik in den USA hat den Stellenwert der Komplementärmedizin schon vor 20 Jahren erkannt“, sagt Witt. Dabei spielte auch Wirtschaftlichkeit eine Rolle: Laut Studien gaben die Amerikaner damals für komplementärmedizinische Leistungen in etwa genauso viel aus wie sie aus eigener Tasche für die stationäre schulmedizinische Versorgung bezahlten. Ein Drittel der US-Bevölkerung nutzt Angebote wie Entspannungsverfahren, Akupunktur und naturheilkundliche Präparate. „Das ist prozentual immer noch weniger als in Deutschland, trotzdem ist die Forschungsförderung in den USA weitaus besser“, so Witt.

Die US-Projekte, an denen Witt mitarbeitet, werden zumeist von Stiftungen finanziert. Doch auch der Staat steckt jährlich bis zu 130 Millionen Dollar in die Erforschung der Komplementärmedizin, darunter auch sogenannte „Center Grants“, mit denen gezielt die personelle Infrastruktur von Forschungseinrichtungen finanziert und aufgebaut wird. „Durch dieses Instrument konnte sich dieser junge Forschungsbereich in den USA schneller professionalisieren“, berichtet Witt. Weiterbildungs- und Karrierestipendien runden das amerikanische Förderpaket ab. Das staatliche US-Gesundheitsinstitut verfügt über eine Unterabteilung für Komplementär- und Alternativmedizin, die die Forschungsmittel vergibt.

Und in Deutschland? Ein paar universitäre Forschungsgruppen gibt es zwar, wie an der Charité, an der Witt forscht. Aber dass die Forscher für eine Akupunkturstudie die Förderzusage der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über fast eine Million Euro erhielten, „war aber schon eine ziemliche Seltenheit, denn Deutschland hat für die Komplementärmedizin keinen eigenen Förderschwerpunkt“. Das heißt: Anträge zur Komplementärmedizin müssen oft mit Hunderten anderen Projekten aus dem konventionellen Bereich der Schulmedizin um die begehrten Fördergelder konkurrieren. Oft erlebt Witt, dass Anträge von den Gutachtern zwar methodisch gut bewertet werden, aber dann eben doch nicht den Zuschlag bekommen, „weil sie nicht die höchste Förderpriorität haben“. In den USA sei der Wettbewerb um die Fördermittel zwar ebenfalls hart, „aber da kommen die direkten Wettbewerber aus dem gleichen Themenfeld, das ist gerechter.“

Neben der staatlichen Förderung scheint auch der Aufbau neuer Einrichtungen oder Forschungsbereiche zur Komplementärmedizin schwierig zu sein. Solche Projekte stehen auch politisch und medial oft in der Kritik. Der Lehrstuhl für Komplementärmedizin an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) etwa, in der Presse als „Zauberschule“ verspottet, wird vor allem von Homöopathieherstellern finanziert.

Zu diesen Debatten will sich die Wissenschaftlerin Witt nicht äußern. Stattdessen empfiehlt sie: Die öffentliche Forschungsförderung sollte hierzulande vor allem Projekte fördern, die sinnvolle Therapiekombinationen aus Schul- und Komplementärmedizin untersuchen. Auch die Interaktion zwischen Arzt und Patient ist interessant: „Hier können Verfahren wie die Homöopathie, die anthroposophische Medizin oder die chinesische Medizin vielleicht einen Beitrag leisten.“ Auch die Bedeutung von Entspannungsverfahren wie Meditation, Yoga oder Qigong im Heilungsprozess seien bisher noch zu wenig erforscht. „Das ist auch in den USA derzeit eines der angesagten Forschungsthemen.“

Die Charité-Professorin hofft, dass sich die deutsche Forschungslandschaft und ihre Fördersysteme stärker der Komplementärmedizin öffnen und dass die USA auf diesem Feld Vorbild bleiben. Denn dort sind wegen der Verschuldungskrise des Staates inzwischen die öffentlichen Forschungsausgaben unter Druck geraten, auch einige Forschungsprojekte und Stipendien zur Alternativmedizin könnten dem Rotstift zum Opfer fallen. „Da herrscht an den Unis im Moment Unruhe“, weiß Witt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen