: Liebe zur Materialarmut
Muss Kunst gefallen? Und wann wird sie gefällig? Im Rahmen der „Frankfurter Positionen“ stellen Wolfgang Tillmans mit Klasse, Lucien Samaha und Hans-Peter Feldmann Arbeiten zum Thema aus
von HORTENSE PISANO
„Weshalb sollte ich ein Bild nicht kaufen, einfach weil es mir gefällt?“ Die Frage aus dem Publikum richtete sich an Isabelle Graw, seit 1990 Herausgeberin der Zeitschrift Texte zur Kunst. „Es geht bei Kunst doch um mehr als um den Tausch von Waren“, so Graw. Im Rahmen der „Frankfurter Positionen“ – das Projekt der BHF-Bank-Stiftung fördert Neuproduktionen in den Sparten Film, Musik, Theater und Kunst – referierte die Kritikerin im Schauspielfrankfurt über das Thema „Was der Markt tut und was wir tun können“.
Tatsächlich sieht Graw einen Wandel zur Celebritygesellschaft auch bei jüngeren Kunstmessen, etwa der Londoner Frieze. Die neue „Industrie des Visuellen“ trage Züge der Mode, von saisonalen Galerien bis zum Glamour der Messen durch kaufkräftige Models wie Claudia Schiffer. Nun hat schon Walter Benjamin die Industrialisierung der Kunst als ein Phänomen der Moderne beschrieben. Auch ist es per se die Crux der Kunst, dass sie im Museum unter ästhetischem und kulturhistorischem Blickwinkel betrachtet wird, der Markt sie dagegen vornehmlich als Investition handelt.
Graw verwies darauf, dass der Kunstmarkt die „neue Autorität“ sei. Was heute ins Museum komme, unterstehe ökonomischen Faktoren. Fast muss es heißen, was als Leihgabe im Museum verbleibe, hänge vom Auktionspreis der Werke ab. So fehlen dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt seit 2005 wichtige Exponate aus der Privatsammlung Bock, als der Unternehmer 500 Werke kurzerhand aus dem Museum abzog.
Eigens für die Ausstellung im Rahmen der „Frankfurter Positionen“ räumte das MMK nun den On-Kawara-Raum. Bei der Eröffnung zeigte Hans-Peter Feldmann, dass es sehr wohl möglich ist, der Personality-Show zu entgehen – der Düsseldorfer Künstler tauchte einfach in der Menge ab. Seine Plakataktion verlässt das Museum und richtet sich an Passanten im öffentlichen Raum. 15 Motive aus dem Archiv Feldmanns konkurrieren in der U-Bahn und auf Litfasssäulen mit Werbeflächen – kalkulieren den flüchtigen Blick des Flaneurs also mit ein. Die Porträts von Che, einem Sumoringer oder einem Kind, das beim Naschen erwischt wurde, werfen uns in Kombination mit dem Titel „Gut ist, was gefällt“ zurück aufs subjektive Geschmacksurteil. Die Bahn ist an Che vorbeigefahren, da beginnt Feldmanns Antiwerbekampagne erst zu wirken, sodass man die Worthülsen der Werbung hinterfragt.
„Der unstillbare Appetit der Konsumindustrie auf Marken, Trends und Moden macht aus jedem individuellen Stil eine weitere beherrschbare Marketingstrategie“, diese Erfahrung musste der Fotograf Wolfgang Tillmans in den 90er-Jahren machen. Porträts wie das von Lutz und Alex, die cool in einem Baum abhängen, diese Fotoästhetik des Zufälligen ist in den Modemagazinen angekommen. Wie kann man der Vereinnahmung entgehen? „Ich versuche gewissermaßen, den Blick auf die Vielschichtigkeit von Persönlichkeiten und Identitäten zu lenken“, so Tillmans 1995.
Im Kontext seiner damaligen Ausstellung im Portikus Frankfurt hieß das: Mode und Lifestyle wurden ebenso abgebildet wie gesellschaftliche Ereignisse – die Berliner Love Parade oder der Evangelische Kirchentag in München. Auch Tillmans’ jüngster Fotoband, „truth study center“ (2005), reiht unterschiedliche Parallelwelten aneinander. Nackte Körper, Tony Blairs Gesicht, die Reste eines Frühstücks, Sit-ins im Park und bewaffnetes Militär. Für die „Positionen“-Schau im MMK hat Tillmans drei neue abstrakte Fotoarbeiten ausgewählt. Als wollte er betonen, dass es für ihn eine Suche nach Wahrheit gibt, aber kein Zurück zu vordefinierten Geschmacksurteilen. Ästhetisch fließen auf einer Fotografie Linien in Purpur dahin. „It’s only love give it away“, der Titel bekräftigt den Eindruck, es handele sich hier um einen Samenerguss und Tillmans binde damit die Abstraktion wieder an den Körper zurück.
Sarah Ortmeyer, Studentin von Tillmans, möchte noch weniger preisgeben. Ihre 25 Papierbögen, an die MMK-Wand geheftet, tragen nur Spuren von Dreck. Auch hier gibt erst der Titel den Hinweis, dass die leeren Blätter im öffentlichen Raum in Kunstorten wie Venedig oder New York hingen, um dort die Spuren aufzunehmen. Ästhetischen Kategorien erteilt Ortmeyer eine klare Absage. Die Besucher müssen angesichts dieser Materialarmut vermutlich schlucken. Die Tillmans-Klasse für interdisziplinäre Kunst an der Städelschule nähert sich dem Positionenthema „Gut ist, was gefällt“ sichtlich mit Skepsis. Eine Träne rinnt Sibylle Fendt über die Wange. „Ich bin müde, Baby“ lautet der Titel ihres Porträts, auf dem die junge Berliner Fotografin wegschaut.
Müde, sich an den Werten der Vorgängergeneration abzuarbeiten? Doch trifft Fendt hier nicht den Zeitgeist? Wird es politisch, kommt der Inhalt spielerisch verpackt daher: Mustafa Kunts tanzende HipHopper stellen sich als trügerisch heraus. Vorlage waren Reportagefotografien von Opfern in Kriegsgebieten.
Im angrenzenden „Raucherzimmer“ des MMK hat Lucien Samaha für die Dauer der Ausstellung seinen Arbeitsplatz installiert. Man kann mit ihm dort täglich über seine Fotografiesammlung reden. Samaha hat Aufnahmen aus verschiedenen Jahrzehnten und Ländern – alle im gleichen Format – wie ein Band an die Wände gehängt. Zunächst dürfen wir ein Foto auswählen, sie abhängen und, sonst im Museum unmöglich, gar mit nach Hause nehmen. Weshalb nur gefällt der Kunststudentin das Porträt eines Teenagers im roten Achtzigerjahre-Sweatshirt? Ich habe mich für die Rückenansicht eines Pärchens entschieden – weil mir das Foto spontan gefiel. Mein Lieblingsfoto durfte ich durch eine weitere Kopie ersetzen. Die Frage nach dem Original hat jedenfalls nichts damit zu tun, ob die Kunst gut gefällt.
Ausstellung bis 12. Februar, Projektreihe „Frankfurter Positionen“ bis 28. Februar, www.frankfurterpositionen.de
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