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Gigantisches Untergrund-Museum

KUNSTWERKE 215 der 468 New Yorker U-Bahn-Stationen sind mit hochkarätigen Werken bestückt. Eintritt: 2,25 Dollar

Subway-Kunst

Die MTA New York City Subway ist das U-Bahn-Netz von New York. Es wurde am 27. Oktober 1904 eröffnet und zählt zu den ältesten der Welt. Mit 26 Linien, 468 Bahnhöfen und 370,1 Streckenkilometern mit über 1.355 Kilometern Gleis und über 4,9 Millionen Fahrgästen pro Tag gehört es zu den größten Netzen weltweit. Information über Kunstobjkete auf der Website der U-Bahn-Gesellschaft MTA: www.mta.info/mta/aft/

VON SEBASTIAN MOLL

Es wäre völlig unmöglich, hier stehen zu bleiben und innezuhalten. Der unaufhaltsame Strom von Pendlern, der den Treppenabgang vom Bahnsteig der Linie 1 zu den tiefer liegenden Anschlusslinien hinunterdrängt, würde einen unweigerlich mit sich reißen. Wenn man das neue wandgroße Mosaik in der U-Bahn-Station am Columbus Circle betrachten will, muss man das deshalb zwangsläufig en passant aus dem Augenwinkel tun. Dabei ist es ein Werk, auf das jedes Museum der Welt stolz wäre. Die Wirbel und Strudel aus bunten Kacheln, die trefflich die Energie der hetzenden Masse widerspiegeln, stammen von dem Minimalisten Sol Le Witt. Kurz vor seinem Tod 2007 hat er die Installation für die New Yorker U-Bahn noch entworfen.

Nur wenige Blocks entfernt im Museum of Modern Art stehen die Besucher andächtig mit ihrem Audio-Führer vor den Sol-Le-Witt-Skulpturen und meditieren die Komposition seiner Farbpalette. Hier, in der U-Bahn, würdigt jedoch kaum jemand sein Werk eines Blickes. Jeder ist in seiner eigenen Trance, bahnt sich wie ferngesteuert die tausendfach verinnerlichten Wege durch das Getümmel, den iPod auf den Ohren, den Blick starr nach vorne gerichtet.„Es ist wirklich tragisch“, sagt Jan Lakin, an die Klinkerwand der Station gedrängt, damit niemand über sie stolpert. Schon seit vielen Jahren ärgert sich die 50 Jahre alte Autorin, dass dieser Schatz vor aller Augen meistens unbeachtet bleibt. 215 der 468 New Yorker Stationen sind mit hochkarätigen Werken bestückt, und Sol Le Witt ist bei weitem nicht der einzige Künstler von Weltrang. Elizabeth Murray hat einen Bahnhof gestaltet, Roy Liechtenstein, Maya Lin, Romare Bearden, Robert Wilson und Faith Ringgold. Doch die wenigsten New Yorker wissen überhaupt davon – von Besuchern ganz zu schweigen. Lakin hat sich deshalb dem Projekt verschrieben, die New Yorker aus ihrer hermetischen Entrücktheit herauszulocken und auf die Schätze in ihrem U-Bahn-Netz aufmerksam zu machen. Sie arbeitet an einem Führer zu diesem unterirdischen Kunstschatz, der zusammengenommen ein Museum von Weltrang ausmachen würde.

„Double Take“ soll der Guide von Jan Lakin heißen – zweimal hingeschaut. Das Kunstprojekt der New Yorker U-Bahn-Gesellschaft ist einmalig auf der Welt. Keine Metropole hat etwas Vergleichbares. 31 Milliarden Dollar hat die Stadt seit 1980 ausgegeben, um Haltestelle für Haltestelle des damals völlig maroden U-Bahnnetzes zu sanieren und den einstigen Prunk und Glanz der 1904 eröffneten Subway zurückzubringen. Und bei jeder sanierten Station, so wollte es ein Gesetz von 1982, musste ein Prozent des Baubudgets für Kunst ausgegeben werden. So entstand das heutige gigantische Untergrund-Museum, das 24 Stunden am Tag geöffnet hat, nur 2,25 Dollar Eintritt kostet und das nur darauf wartet, erkundet zu werden.

Das Kunstprojekt der New Yorker U-Bahn-Gesellschaft ist einmalig auf der Welt

Jan Lakins Begeisterung für die Subway-Kunst wurde 1996 geweckt, als die U-Bahn-Gesellschaft sie anheuerte, um die Enthüllung einer Reihe neuer Werke zu publizieren. Damals lernte sie den Künstler Ralph Fasanella kennen, der schon sein Leben lang in naiv-realistischem, aber zugleich poetischem Stil das Straßenleben von New York malte. Für das „Arts for Transit“-Programm der U-Bahn stiftete der Künstler ein Bild mit Menschen in der U-Bahn. „Durch das Bild von Fasanella wurde mir damals klar, wie genial die Idee der U-Bahn-Kunst ist“, sagt Lakin, während wir an der 53. Straße das in die Wand am Bahnsteig eingelassene Gemälde von Fasanella betrachten, auf dem ein buntes Gemisch von New Yorkern nebeneinander in einem Wagon sitzen. In der U-Bahn, so die Botschaft von Fasanella, wird die Seele von New York so greifbar wie nirgendwo anders. „Die U-Bahn verkörpert das demokratische Ideal dieser Stadt“, sagt Lakin. „Sie macht uns gleich, wie sonst nichts. Und den Menschen dieser Stadt zum Fahrpreis ihres U-Bahn-Tickets Kunst zu schenken, entstammt genau demselben demokratisch-egalitären Gedanken.“

Am Times Square etwa laufen hunderttausende von Menschen täglich unter einem Mural von Roy Liechtenstein hindurch, ohne es zu wissen. Aber es gibt auch Bahnhöfe, wo die Kunst den täglichen Weg durch den Untergrund für die Menschen positiv verändert, ohne dass sie die Kunst studieren müssen. An der 59. Straße etwa hat die Malerin Elizabeth Murray, die erst vor drei Jahren eine Solo-Werkschau im MoMA hatte, einen kompletten Durchgangsraum mit einem Pop-Art-haften Mosaik ausgestaltet. In frohen Farben schweben dort jetzt Schuhe und Kaffeetassen durch den Raum – eine Anspielung auf die tägliche Fahrt zu Arbeit. Selbst wenn man die Wände hier nie genau betrachtet, ist diese ansonsten furchtbar bedrückende Passage spürbar freundlicher als zuvor. Und der New-York-Times-Kunstkritiker David Dunlap berichtete in einem Artikel davon, wie die kleinen lustigen Bronzefiguren von Tom Otterness in der Station unter der 14. Straße ihn nach seiner wöchentlichen Chemotherapie aufgemuntert haben. „Dieses kleine Männchen, das da auf einer Bank saß, verkörperte so viele Dinge, die ich damals brauchte. Er war ruhig, geduldig, vertrauenserweckend und tapfer. Und vor allem brachte er mich zum Schmunzeln.“ Eine schönere Kritik hatte Otterness wahrscheinlich nie bekommen.

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