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YOANI SÁNCHEZPOLITIK VON UNTENDie Russen kommen wieder!

Russland ist Gastland der Buchmesse in Havanna 2010. Da werden Erinnerungen wach an die „Bolos“ von früher

Unter all den Geschehnissen, die in Kuba gerade ihren 50. Jahrestag feiern, ragt die Wiederherstellung der Beziehungen mit der Sowjetunion besonders heraus. Diejenigen, die jene Zeit miterlebt haben, erzählen mir, dass es gar nicht einfach war, all die Vorurteile zu überwinden, die den Bewohnern des ersten sozialistischen Territoriums der Welt nach intensiver Verteufelung durch antikommunistische Propaganda entgegenschlugen.

„Die Russen kommen!“, riefen manche erschrocken, während andere „die Sowjets“ willkommen hießen. Lange Zeit bedeutete die Bezeichnung, die man benutzte, eine ideologische Festlegung. Als die Kubaner meiner Generation anfingen, bewusst durchs Leben zu gehen, also Anfang der 80er-Jahre, zerbrach sich darüber schon niemand mehr den Kopf. Wir sahen russische Filme und fuhren glücklich mit Ladas herum.

Die Internationale Buchmesse, die immer im Februar in Havanna stattfindet, ist dieses Jahr Russland gewidmet. Einige Kinos führen die Klassiker wieder auf: „Schuld und Sühne“, „Onkel Wanja“, „Krieg und Frieden“.

Fehlt nur noch der Zirkus, der sicher nicht mehr der meiner Kindheit sein wird, als der Clown Popow seine Mütze wie einen Diskus unter das Dach des großen Sportzentrums in Havanna schleuderte. Ich gebe zu, dass ich sehr neugierig bin, ob ich bei dieser Rückkehr bemerken werde, dass die Ukrainer, Turkmenen oder Litauer nicht dabei sind, die früher für uns alle eins waren in dieser großen Masse, die vom Kreml regiert wurde.

Man sieht sie heute nicht mehr in großen Gruppen, gekleidet in Hosen mit Übergröße und stets bis zum Ellbogen aufgekrempelten weißen Hemden. Es sind nicht mehr die ausländischen Techniker, die das Recht hatten, in Läden einzukaufen, die für uns verboten waren, und dann auf dem Schwarzmarkt verkauften, was sie dort bekamen. Wir nennen sie auch nicht mehr „Bolos“ (Kegel), dieser halb liebevolle, halb spöttische Kosename, mit dem wir sie wegen ihrer mangelhaften Industrieprodukte bezeichneten, die stets voller nicht abgefeilter Schweißnähte waren. Weit weg von Aerodynamik und Komfort. Heute baggern sie in den Diskotheken mit, sehen aus wie Unternehmer und benutzen französisches Parfüm.

Jetzt haben sie uns ihre Bücher gebracht. Sie sind unter uns, und niemand ruft erschrocken: „Die Sowjets sind wieder da!“

Die Autorin lebt als unabhängige Bloggerin (www.desdecuba.com/generaciony) in Havanna Foto: dpa

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