: Keimzellen neuer Krebsforschung
In Dortmund entsteht ein neues Max-Planck-Zentrum für Systembiologie, das verschiedene Forschungsansätze zusammenführt und auch die Pharmaindustrie einbindet. So sollen neue Medikamente gegen bislang unheilbare Krankheiten entstehen
VON MIRIAM BUNJES
Plötzlich teilt sie sich unkontrolliert und immer schneller. Eins der mehr als 30.000 Moleküle der Zelle hat ein fatales Kommando gegeben, alle Moleküle haben gehorcht und die ganze Zelle zum Teilen gebracht: Der Fehler des Mini-Teilchens kann jetzt die Gesamtheit der 10[15]Zellen zerstören, die den menschlichen Körper ausmachen. Krebs ist trotz jahrzehntelanger Forschung auf Spitzenniveau ein Geheimnis geblieben, dessen Erforschung zunehmend in der Biologie stattfindet.
Welches Molekül startet das gefährliche Signal, welche übersetzen es so weiter, dass sich am Ende die ganze Zelle teilt? Was unterscheidet das Tumor-Signal vom gesunden, millionenfach am Tag stattfindenden Zellwachstums-Signal? Solche Fragen leiten die Molekularbiologen des Dortmunder Max-Planck-Instituts für molekulare Physiologie seit fünfzehn Jahren.
Ein neues Forschungszentrum für Systembiologie soll dieses Fragenspektrum jetzt erweitern und die verschiedenen Ansätze der Biologie und Biochemie zusammenführen. Das ehrgeizige Ziel: die ganzheitliche Erforschung des Zusammenspiels von Molekülen, Zellen und Genen und die Übertragung der Ergebnisse in die Pharmaindustrie. Für 47 Millionen Euro soll bis zum nächsten Jahr mit einem neuen Max-Planck-Zentrum eine lebenswissenschaftliche Innovationsplattform entstehen. „Das wird die Erkenntnis über Krankheiten wie Krebs, Aids, Alzheimer oder Parkinson stark beschleunigen“, sagt Alfred Wittinghofer, Leiter des Dortmunder Max-Planck-Instituts und selber Systembiologe. „Hier wird alles Wissen über das System Leben gebündelt, was Biologie und Chemie zur Zeit zu bieten haben.“
Denn auch in der chemischen Genomik steht die Erforschung von Leben und Krankheit im Mittelpunkt. Nur untersuchen die Chemiker anders als die Molekularbiologen nicht die natürlichen Prozesse. „Sie schmeißen chemische Moleküle auf das System und gucken, welche Signale sich verändern lassen“, erklärt Systembiologe Wittinghofer. Seine Disziplin soll die Synopse finden und die Fächer vereinen. „Wenn die Molekularbiologie ein Signalmolekül entdeckt, können die Chemiker sofort an Hemmstoffen arbeiten“, sagt Wittinghofer. „So entstehen die Grundlagen für neue bessere Medikamente.“
Diese Grundlagen sollen schon in Dortmund zu neuen Medikamenten werden. Denn in die lebenswissenschaftliche Innovationsplattform sind auch Unternehmen der Pharmaindustrie eingebunden. „Für die Wirtschaft ist das ein mehr als attraktives Angebot“, sagt Doris Schnabel, die die Zusammenarbeit zwischen Max-Planck-Institut und Dortmunder Biomedizin-Zentrum koordiniert. Zwölf Unternehmen haben der Projektleiterin bereits ihre Teilnahme zugesagt. „Sie können allerneuste wissenschaftliche Erkenntnis sofort umsetzen“, sagt Schnabel. Das neue Zentrum berge schließlich die Chance, wirksame Medikamente für bislang unheilbare Krankheiten zu entwickeln. „Das ist das ganz große Geld.“
Auch das chronisch finanzknappe Land Nordrhein-Westfalen sieht im diesem fächer- und Institutionen übergreifenden Forschungszentrum großes Potenzial. Aus der Plattform heraus würden sich sehr wahrscheinlich neue Unternehmen gründen und gleichzeitig weitere von außen angezogen werden, schwärmt NRWs Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). „Die Sogwirkung für hochinnovative und zukunftssichere Arbeitsplätze kann erheblich sein“, sagt die Wirtschaftsministerin. Und auch Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) ist voller Lob: „So können mögliche Anwendungen und Probleme direkt überprüft werden. Das ist sehr zielorientierte Forschung.“
37 Millionen Euro stellt das Land NRW für das neue Zentrum zur Verfügung, die restlichen zehn Millionen kommen von der Max-Planck-Gesellschaft. Was geförderte Spitzenforschung im Ruhrgebiet angeht, ist das neue Zentrum damit schon jetzt Spitze. Die Ruhrgebiets-Universitäten schnitten beim bundesweiten Exzellenz-Wettbewerb bereits in der Vorauswahl schlecht ab (taz berichtete). „Das Geld reicht für etwa zwei Jahre“, sagt Max-Planck-Chef Wittinghofer. „Danach finanziert sich die Plattform hoffentlich von selbst.“
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