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schwabinger krawall: kalter kleinkrieg von MICHAEL SAILER

Weil es eine ganze Woche lang ununterbrochen geschneit hat, haben der kleine Kevin und der kleine Solkan beschlossen, einen Schneemann zu bauen. Der Schneemann ist gewaltig groß geworden, weil so viel Schnee da war, und wie der Kopf droben war, haben der Kevin und der Solkan auf eine vierte Schneekugel steigen müssen, um überhaupt noch zum Schmücken hinaufzukommen. Der Solkan hat ihm eine von seiner Mutter aus der Küche gezwickte Gelbe Rübe als Nase, ein Zweigerl als Mund und zwei Kieselsteine als Augen hineingesteckt, und dann hat der Kevin gesagt, der Kerl brauche auch noch einen Schnurrbart.

Zufällig ist die alte Frau Reibeis mit dem Aschenschub von ihrem Kohlenofen dahergekommen, und der Kevin hat gefragt, ob er die Asche haben kann. Wie er auf der Kletterschneekugel gestanden ist und einen Schnurrbart sozusagen hineinaschen wollte in das Schneemanngesicht, hat die Kletterschneekugel nachgegeben, dabei ist ihm der Aschenschub ausgekommen, und jetzt war der ganze Schneemannkopf graubraun überstäubt. Da, hat der Kevin gesagt, könne man auch gleich den Kleinen Muck draus machen, hat dem Schneemann seinen Schal als Turban um den Kopf gewickelt und sich über das Werk ebenso gefreut wie der Solkan.

Weniger gefreut hat sich der Vater vom Solkan: Es handle sich bei dem, was sein Sohn da anstelle, um einen Frevel, und der Schneemann sei umgehend zu demontieren. Er solle doch die Kinder in Ruhe spielen lassen, hat die Mutter vom Kevin gesagt, und weil das Gespräch schnell laut geworden ist, hat es Herrn Reithofer bei seinem Mittagsschlaf gestört. Zu allem Überfluss hat die alte Frau Reibeis die Buben gelobt, das sei ja ein toller „Mohammed“ geworden. Sie solle, hat der Vater vom Solkan gesagt, es nicht wagen, den Namen des Propheten in den Mund zu nehmen; Frau Reibeis hat gekeift, sie nehme in den Mund, was sie wolle; die Mutter vom Kevin hat gemeint, er solle nicht so humorlos sein, Herr Reithofer hat gefordert, sofort das „Muezzingeschrei“ einzustellen und die Mittagsruhe zu respektieren, und der gerade vom Stammtisch zurückkehrende Herr Hammler hat dekretiert, ein derartiger Schmutzhaufen könne auf keinen Fall im Hof stehen bleiben.

Es gehe nicht an, hat der Vater vom Solkan gesagt, den Propheten einen „Schmutzhaufen“ zu schimpfen; dem Kevin sein Onkel Rainer hat gesagt, er solle sich mäßigen, weil es daran legal überhaupt nichts auszusetzen gebe; der Vater vom Solkan hat gebrüllt, was er sagen täte, wenn die Lausbuben einen Jesus am Kreuz mit Deppengesicht hingestellt hätten; Onkel Rainer hat gebrüllt, er könne ihm mit seinem Jesus den Buckel hinunterrutschen; Frau Reibeis hat gebrüllt, das sei eine Gotteslästerung und gehe zu weit; und da hat sich eine Riesenlawine vom Dach gelöst und ist auf die Versammlung draufgestürzt, woraufhin schlagartig eine Ruhe eingekehrt ist.

Hinterher war der Schneemann noch ein Stück größer, aber wieder weiß, und hat ein bisschen wie der Papst ausgesehen, was im Großen und Ganzen allen recht war, außer vielleicht dem kleinen Kevin, der seinen Schal nicht mehr gefunden hat, aber davon hat er angesichts der allgemeinen Versöhnung lieber nichts sagen wollen.

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