: Das Kino weiß mehr
Gegen Bälle und Steine treten: In den Filmen iranischer Regisseure auf der Berlinale scheint das Überwinden von Barrieren fast wie ein Volkssport
VON BERT REBHANDL
Das iranische Kino hat sich immer schon stark für Fußball interessiert. Als Abbas Kiarostami 1990 in einer von einem schweren Erdbeben zerstörten Region seinen halb dokumentarischen Film „Und das Leben geht weiter“ drehte, ging es darin auch um eine Fernsehantenne und die verzweifelten Bemühungen, das Finale der Fußball-Welmeisterschaft nicht zu versäumen.
Schon 1974 hatte Kiarostami in „The Traveller“ die Geschichte eines Jungen erzählt, der alles unternimmt, um zu einem wichtigen Match in Teheran zu kommen – am Ende schläft er erschöpft vor dem Stadium ein, und bekommt von dem großen Ereignis nichts mit. Diese Begeisterungsfähigkeit hat Jafar Panahi nun in „Offside“ aus der männlich geprägten Fankultur herausgelöst. Hier sind es einige junge Frauen, die unter allen Umständen ein Spiel der iranischen Nationalmannschaft gegen Bahrain live im Stadion sehen wollen. Bei einem Sieg konnte sich der Iran direkt für die Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren, die heuer in Deutschland stattfinden wird.
Warum durften iranische Frauen nicht ins Stadion? In erster Linie ging es darum, die enthemmten Männer nicht zu sehen, deren Flüche und Beschwörungen dem hohen Ideal widersprechen, dem die Geschlechterbeziehungen im Iran unterliegen. Was die Männer tun, wenn sie unter sich sind, ist nicht so wichtig. Die Frauen dürfen es nur nicht sehen. Panahi führt in seinem semidokumentarisch am Rand des tatsächlichen Spiels im Stadion von Teheran gedrehten Film zwei Gruppen zusammen, die von der unmittelbaren Teilnahme ausgeschlossen sind: die Frauen, die aufgegriffen wurden, und die Soldaten, die an diesem Tag Dienst haben. Vom Spiel ist die Geräuschkulisse präsent, ein Soldat kann durch eine Absperrung hindurch sogar das Spielfeld sehen.
Das iranische Kino handelt häufig von Hindernissen und von Versuchen, sie auf irgendeine Weise zu umgehen. Die Gesellschaft besteht geradezu aus Barrieren, zumal für Frauen, deren Ehre geschützt werden soll, indem sie eingesperrt werden. Vor diesem Hintergrund ist es umso verblüffender, welche Spielräume sich die Filmemacher immer wieder erarbeiten. „Offside“ kehrt am Ende wieder in den nationalen Taumel zurück, aus dem die Frauen für die entscheidenden Momente ausgeschlossen wurden. Sie skandieren dann trotzdem „Iran, Iran“, und bringen damit die widersprüchlichen Identifikationen zum Ausdruck, aus denen das Nationalgefühl unter einem Regime besteht, das gegen die Kultur steht. „Offside“ steht genau an der Schnittstelle zwischen westlicher Öffentlichkeit und iranischer Zensur. Der Film wurde vor Ort gedreht, wird aber vermutlich wie schon „Der Kreis“ oder der überragende „Crimson Gold“ im Iran nicht offiziell zu sehen sein. Die Tatsache seiner Existenz allein dokumentiert allerdings eine Heterogenität der iranischen Situation, die kein noch so radikaler Präsident in den Griff bekommen kann.
Dass sich die Frauen aus „Offside“ aber nicht nur von der Revolution, sondern auch von der Zivilgesellschaft verraten fühlen könnten, deutet ein anderer iranischer Film an, der im Forum lief und ebenfalls mit Fußball beginnt: Vier Männer fahren in „Men at Work“ auf einer Bergstraße von einem Skiausflug nach Teheran zurück. Sie wollen pünktlich zu einem Match vor dem Fernseher sitzen. Aus ihren Gesprächen ist zu erschließen, dass sie gute internationale Kontakte haben, ständig ins Ausland reisen und auf jeden Fall auch reich sind. Bei einer Pinkelpause entdecken sie an einer auffälligen Stelle am Straßenrand einen Stein (eine Stele?), der in dieser Landschaft so irritierend wirkt, dass sie versuchen, ihn umzustoßen. Es stellt sich heraus, dass kein Mittel hilft, das seltsame Monument zu beseitigen.
Aus Teheran, das offensichtlich nur eine Autostunde entfernt ist, kommen Freundinnen und Bekannte, sie bringen eine Motorsäge mit und anderes Werkzeug, und während die Bemühungen immer obsessiver werden, entfaltet Mani Haghighi das Beziehungsgeflecht der vier Männer. Das allegorische Potenzial des Steins ist groß, aber es wird deutlich, dass jede Anstrengung hier lächerlich und fehl am Platz ist. Mani Haghighi zeigt Männer, die vom Regime im Iran kaum behelligt werden, beim Überwinden einer Barriere, die niemanden stört. Am Ende müssen sie das Fußballspiel im Radio hören, und die Pointe von „Men at Work“ fällt mit dem Schlusspfiff eines Spiels gegen Japan zusammen, das in „Offside“ auch eine Rolle spielt.
Beide Filme gehen indirekt auf Abbas Kiarostami zurück, mit dem sowohl Jafar Panahi als auch Mani Haghighi gearbeitet haben. Aus all diesen Filmen ist über die iranische Gesellschaft mehr zu erfahren, als Deutschland beispielsweise durch sein Kino von sich selbst weiß.
Selbst Rafi Pitts, der in seinem Wettbewerbsbeitrag „Zemestan“ („It’s Winter“) die Anstrengungen der Arbeitslosen an der Peripherie von Teheran zeigt, sich in einer harten Materialökonomie durchzubringen, erzählt bei allem verhaltenen Pathos doch sehr deutlich, wie wenig sich die individuelle Existenz auf Sicherheitssysteme stützen kann. Bei Rafi Pitts ist die bürgerliche Welt keine Autostunde, sondern unendlich weit entfernt. In den Schlafstuben an den Ausfallstraßen sammeln sich die Menschen im Iran, die ihr Heimatdorf verlassen haben, aber in der Hauptstadt nie angekommen sind. Wer sich dort ein Haus baut, siedelt sich in einem Niemandsland an, in dem selbst ein Fußballspiel im Fernsehen wie ein unzugänglicher Luxus erscheinen kann.
„Offside“. Regie: Jafar Panahi. Iran 2006, 88 Min. 18. 2., 20 Uhr International und 22 Uhr Urania. „Men at Work“. Regie: Mani Haghighi. Iran 2006, 75 Min. 18. 2., 16.30 Uhr CineStar 8„Zemestan“. Regie: Rafi Pitts. Iran 2005, 86 Min.
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