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Anders als bislang erinnern

SICHTBARMACHUNG Straßennamen, Denkmäler, Erinnerungsorte. Im Berliner Stadtraum wird die koloniale Vergangenheit aufgearbeitet

„Deutsche Erinnerungsorte“ nennt sich ein dreibändiges Geschichtswerk, das 2001 erschien und das die symptomatischen und problematischen Orte des Deutschtums erkundet. Darin finden sich Stichwörter wie „Grimms Märchen“, „Versailles“, „Die deutsche Bundesliga“; auch „Deutscher Idealismus“ oder „Der Kniefall“ kommen vor. Allein, einen Eintrag, der sich auch nur entfernt zum deutschen Kolonialismus verhält, sucht man vergeblich. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Orten, die bis zum heutigen Tag auf eine solche Geschichte verweisen. Seien es Straßennamen oder erst einmal ganz harmlos erscheinende Elefantenstatuen.

Nicht nur in den großen Hansestädten der Republik, Anlaufstellen der mit Kolonialwaren beladenen Schiffe im 19. Jahrhundert, sondern auch landeinwärts manifestieren sich die Spuren einer kolonialen Vergangenheit, die lange Zeit nicht beachtet wurde. Man setze sich nur einmal vor einen Stadtplan Berlins: Afrikanisches Viertel, Mohrenstraße – und das sind nur die auffälligsten „Erinnerungsorte“.

Es ist vor allem Initiativen zu verdanken, die eine Geschichtsschreibung „von unten“ verfolgen, zivilgesellschaftlichem Engagement also, dass die kolonialen Bezüge, die sich in die Städte eingeschrieben haben, allmählich publik werden. Ende Februar wurde auf Initiative des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER), einem Dachverband, in dem sich 70 entwicklungspolitische NGOs zusammengeschlossen haben, das Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umbenannt. Der Grund: Otto Friedrich von der Groeben (1656–1728) segelte 1683 im Auftrag des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm an die Westküste Afrikas, um im heutigen Ghana das Fort Großfriedrichsburg zu gründen, das zu einem wichtigen Umschlagsplatz für den Sklavenhandel wurde. May Ayim (1960–1996) ist eine afrodeutsche Dichterin, die sich als Kämpferin gegen Rassismus einen Namen machte. Diese Perspektivumkehr ist programmatisch für die aktuelle Sichtbarmachung von verdrängter Geschichte.

Die Umbenennung fand im Rahmen der dreimonatigen Gedenkkampagne „125 Jahre Berliner Afrika-Konferenz – erinnern, aufarbeiten, wiedergutmachen“ statt. Das bundesweite Bündnis von mehr als 75 zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen erinnerte in verschiedenen Städten mit Veranstaltungen an die Aufteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächten, die 1884/85 in Berlin beschieden wurde.

Auch die Ausstellung „Verdrängte Geschichte – Spuren kolonialer Vergangenheit in Neukölln“ des Mobilen Museums Neukölln bemüht sich um eine kiezspezifische Aufklärung. Sie dokumentiert Kolonialwarenhandlungen in Neukölln, informiert über Hermann von Wissmann, Gouverneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika, oder Adolph Woermann, der als Unternehmer in der westafrikanischen Kolonie Kamerun Einheimische ausbeutete. Nach beiden sind noch immer Straßen in Neukölln benannt.

Nicht weniger problematisch ist der Herero-Stein auf dem Garnisonfriedhof am Columbiadamm, der 1970 errichtet wurde. Er galt allein den gefallenen deutschen „Helden“ im Herero-Aufstand (1904 bis 1908 in Deutsch-Südwestafrika) – bis am 2. Oktober 2009, zum 105. Jahrestag des Aufstands eine Tafel hinzugefügt wurde, die an die 70.000 Opfer der deutschen Kolonialherrschaft erinnert. Auch das erfährt man in der Ausstellung, die noch bis zum 26. März 2010 im Foyer der St.-Christophorus-Kirche in Neukölln zu besichtigen ist. PHILIPP GOLL

■ St.-Christophorus-Kirche im Reuterkiez, Nansenstr. 4, Di.–Fr. 12–18 Uhr und So. 12–18 Uhr

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