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Gegner des deutschen Tiefsinns

ANTHROPOLOGIE Am Montag wird der Philosoph Ernst Tugendhat 80 Jahre alt. Bei Beck ist gerade sein neuer Schriftenband erschienen

So hat er das Preisgeld von 50.000 Euro einer Schule in Palästina gespendet

VON CORD RIECHELMANN

Ernst Tugendhat, der am Montag 80 Jahre alt wird, ist hierzulande der Philosoph, der den Satz ernst nimmt. Im Satz, gesprochen oder geschrieben, vollzieht sich unser Verhältnis zu den Dingen und zu uns selbst. Der Grund, warum der Mensch die Dinge und auch sich objektiviert, ist, dass er sich auf alles in einer Satzsprache bezieht. Das ist, auf die kürzeste Formel gebracht, das Zentrum des Denkens von Ernst Tugendhat. Von hier aus kommt man über die verschiedensten Strahlungen zu allen Problemen, die Tugendhat zeit seines Lebens umgetrieben haben.

Tugendhat ist entschieden dagegen, „Worte in der Philosophie einfach so drauflos zu verwenden“. Und deshalb gilt er in der Welt der Philosophie als Gegner deutschen Tiefsinns. Was Schwierigkeiten mit sich brachte, da „mein Denkstil eher angelsächsisch ist“. „Viele deutsche Kollegen haben es in Amerika einfacher, weil man dort denkt, ach, das ist irgend so ein deutscher Tiefsinn, der so tiefgründig ist, dass er sowieso nicht zu verstehen ist“, sagte Tugendhat 2007 in einem Interview mit dieser Zeitung.

Klar und begründet zu schreiben und zu verstehen gehören für Tugendhat zusammen, und daraus folgt für sein Denken eine andauernde Arbeit im Tagwerk des Satzbaus. Auch wenn der Satz noch so angenehm klingt, noch so gut formuliert ist, bleibt die Forderung im Raum, dass er noch besser gemacht werden könnte. Angenehm, gut, besser sind dabei Worte, die seine Anthropologie naturalisieren.

Als angenehm empfinden auch Tiere Situationen, genauso wie Tiere Worte und ihre rudimentären Sprachen situationsbezogen einsetzen können. Gut und besser vermögen aber nur Menschen zu handeln. Nur die prädikative Struktur der menschlichen Sprache macht es möglich, sich auf Dinge zu beziehen, die unabhängig von der Sprechsituation sind. Damit sind wir dann auch in der Lage, über Gutes und vom Guten als auch über Gerechtes zu sprechen.

Das ist eine Überlegung, die Aristoteles im 2. Kapitel seiner „Politik“ anstellt und der sich Tugendhat anschließt. Formuliert findet man sie im ersten Text des vorläufigen Endes von Tugendhats „Zeit in der Philosophie“ in der gerade erschienenen zweiten Auflage der Essaysammlung „Anthropologie statt Metaphysik“. Der Band, der in der Mehrzahl Texte von Vorträgen enthält, die Tugendhat in den letzten Jahren gehalten hat, ist das Resümee seines Denkwegs. Es geht darin um Fragen, wie man angesichts des Todes Gottes noch eine Instanz finden kann, vor der man sein Leben verantwortet, um Mystik, Religion, Willensfreiheit und den Ursprung von Gleichheit in Recht und Moral.

Wobei die normative Gleichheit aller Menschen im universellen Maßstab für Tugendhat eine notwendige und plausible Folge der Aufklärung, des Selbstdenkens ist. Die Aufklärungsmoral mit ihrer Orientierung an der Idee von gleichen Rechten und Pflichten ist für ihn eine Idee, die, wie er schreibt, „Rahmenbedingungen darstellt, die einzugehen Menschen motiviert sind, wenn sie sich einfach nur als miteinander leben wollende Menschen verstehen“.

Einfach miteinander leben zu wollen, ist bei Tugendhat die Folge aus der Ursituation, in der ein egoistischer und egozentrischer Mensch, der im Wald auf einen anderen trifft, merkt, dass um des Friedens willen jetzt ein Kontrakt der eigenen Machteinschränkung das Beste für beide wäre – Ausgangspunkt und Ziel des Humanen, dem er sich auch politisch stellt. So hat er, nachdem ihm 2005 der mit 50.000 Euro dotierte Meister-Eckhart-Preis verliehen wurde, das Preisgeld einer Schule in Palästina gespendet und seine Preisrede mit der Frage beschlossen: „Soll es denn uns Juden nur möglich gewesen sein, der Vernichtung zu entgehen, indem wir das Schicksal der Vertreibung auf ein anderes Volk abwälzen?“

Dabei hat Tugendhat, der in Brünn in eine wohlhabende jüdische Textilfabrikantenfamilie hineingeboren wurde und die Emigration nach Venezuela auf einem Schiff als Junge erlebte, sein Denken sozusagen in Täterhand begonnen. Mit 15 liest er Heideggers „Sein und Zeit“. Aus den USA kehrt er 1949 nach Freiburg zurück und sucht Heideggers Nähe. In seiner Habilitationsschrift von 1966 kritisiert er Heideggers Wahrheitsbegriff wohlwollend. Die Abkehr setzt allmählich ein, als ihm klar wird, das Heideggers Destruktion der Tradition in Wirklichkeit nichts löst und sich der Mann am Ende in einem Zustand befand, in dem er wie ein indischer Mystiker nur noch die Silbe „Om, om“ wiederholte.

Tugendhat, der weder Mystik noch Religion pauschal verwirft, setzt, seit er 1980 Professor an der FU in Berlin geworden war, dagegen auf Einmischung durch Engagement in der Friedensbewegung und in der Gesellschaft für bedrohte Völker. Daneben arbeitet er an der Verbesserung seiner Sätze, mit dem Ziel, ernsthaft und verantwortlich leben zu können, ohne der Sprache und so dem Menschen Gewalt anzutun.

Ernst Tugendhat: „Anthropologie statt Metaphysik“. C. H. Beck Verlag, München 2010, 240 Seiten, 12,95 Euro

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