: Hat der Rechtspopulismus auch in Deutschland eine Chance?
PRO
Sicher. Allerdings kann er nicht die gleichen Wege gehen wie bei den europäischen Nachbarn. Anders als in den Niederlanden oder Frankreich ist das Einfallstor für rechte Demagogie hierzulande der Sozialdarwinismus. Der Feind des populistischen Deutschen ist nicht notwendig der Migrant oder der Muslim, es ist primär der Bittsteller. Zumindest solange er nicht aus der Finanzbranche kommt.
Die kollektive Erinnerung an den Holocaust diskreditiert noch immer allzu offene Anleihen beim völkischen Vokabular. Doch wer dieses ungeschriebene Gesetz pro forma einhält, kann das Ressentiment gegen die anderen schüren: Gegen die nämlich, die nach dem Heiligtum vieler Deutschen greifen, dem Geld. Alleinige Ausnahme, die Banker und ihre Freunde, siehe oben.
Die FDP macht derzeit vor, wie weit der Rechtspopulismus auf Bundesebene gehen kann: Der Sozialstaat als Lehre aus den Kriegen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts wird abgelehnt, und genau über diese Ablehnung wird Nähe zum Wunschvolk hergestellt.
Unterkomplexe Antworten zu Lasten einer als homogen abgestempelten Bevölkerungsgruppe sind die Grundlage von Rechtspopulismus. So lautet die Lösung für reale Probleme wie die Überalterung, die Schröpfung der Mittelschichten oder das Erstarken ständischen Denkens (siehe etwa der Widerstand gegen das gemeinsame Lernen): Die faule Unterschicht muss diszipliniert und zur Solidarleistung für die sich entsolidarisierende Mehrheitsgesellschaft herangezogen werden. Soll sie kalt duschen. Und zum Arbeitsdienst für die Allgemeinheit antreten: Schneeschippen jetzt.
Die Ausfälle des SPD-Politikers Sarrazin zeigen: Es gibt einen breiten Resonanzboden für eine radikale Ausgrenzungspolitik im bürgerlichen Feld. Auch wenn Westerwelle und Sarrazin nicht für einen Rechtspopulismus à la Sarkozy taugen – sie planieren erfolgreich den Weg für rechte Führungsfiguren der Zukunft.
Die müssen einfach ein bisschen jünger sein. Dann wird ihnen das nazistische Erbe nicht mehr im Weg stehen.
INES KAPPERT ist Meinungsredakteurin der taz Foto: privat
CONTRA
Nicht nur in den Niederlanden, in vielen Ländern Europas reüssieren derzeit rechtspopulistische Parteien. Von der Schweiz über Österreich und Italien bis Dänemark punkten sie bei Wahlen mit plumpen Anti-Islam-Parolen. Deutschland ist ein vergleichbares Phänomen bislang erspart geblieben. Und es gibt gute Gründe zu hoffen, dass dies auch so bleiben wird.
Das liegt vor allem an den deutschen Christdemokraten, denen dafür großes Lob gebührt. In Österreich etwa haben die Konservativen die FPÖ an die Regierung gebracht und so hoffähig gemacht; in Frankreich gießt Nicolas Sarkozy mit Debatten um die „nationale Identität“ gerade Wasser auf die Mühlen des Front National. CDU und CSU dagegen haben sich gegen solche rechtspopulistische Versuchungen vergleichsweise immun gezeigt und recht konsequent von islamophoben Parolen abgegrenzt.
Zugleich beging man nicht den Fehler, der in den konsensorientierten Demokratien der Schweiz, Dänemarks und der Niederlande gemacht wurde. Dort hat die politische Elite zu lang die Probleme verdrängt, die das Zusammenleben mit verschiedenen Kulturen so mit sich bringt. Auch die deutsche Union hat sich erst spät der Frage zugewandt, was es für Deutschland bedeutet, ein Einwanderungsland zu sein. Dafür bemüht sie sich, etwa mit der eben neu sortierten „Islamkonferenz“, heute umso mehr um eine konstruktive Integrationspolitik. Sie nimmt damit die Sorgen und Ängste der Menschen ernst, ohne ihnen nach dem Mund zu reden und fremdenfeindliche Ressentiments zu nähren.
Welche Lehren aus der Nazizeit gezogen wurden, spielt dabei eine große Rolle. Die meisten Deutschen haben aus der Geschichte gelernt, dass es sich schlicht verbietet, eine religiöse oder ethnische Minderheit zu diskriminieren. In manchen Nachbarländern dagegen wähnte man sich seines historisch vermeintlich völlig reinen Gewissens so sicher, dass man sich zu lange in der Sicherheit wog, gegen rassistisches Gedankengut quasi immun zu sein. Diese moralische Selbstgerechtigkeit rächt sich jetzt vielerorts – ob in der Schweiz oder in Holland.
DANIEL BAX ist Meinungsredakteur der taz Foto: Amélie Losier
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