: Das Montagsinterview„Nicht jede Frau will sich das antun“
Karen Kamensek kommt aus Chicago und ist Dirigentin. An der Staatsoper Hannover wird sie 2011 GeneralmusikdirektorinTAKT ODER TEMPO Die amerikanische Dirigentin Karen Kamensek wechselt von der Hamburgischen Staatsoper an die Staatsoper Hannover. Dort wird sie als Generalmusikdirektorin das Orchester weiterentwickeln
■ wurde als Tochter slowenischer Auswanderer in Chicago geboren. Ihre Ausbildung erhielt sie an der Indiana University in Bloomington. In dieser Zeit dirigierte sie bereits das Brooklyn Philharmonic Orchestra. An der Wiener Volksoper war sie in den Jahren von 2000 bis 2002 die 1. Kapellmeisterin. Von 2003 bis 2006 arbeitete sie als Generalmusikdirektorin am Freiburger Theater, danach wurde sie Chefdirigentin am Slowenischen Nationaltheater in Maribor. Seit 2008 ist sie stellvertretende Generalmusikdirektorin an der Hamburgischen Staatsoper. Parallel zu ihren Engagements führen Konzerteinladungen Kamensek an andere Häuser und in andere Teile der Welt. An der Staatsoper Hannover wird sie ab der Spielzeit 2011/ 2012 den Posten der Generalmusikdirektorin übernehmen. Foto: Miguel Ferraz
INTERVIEW KLAUS IRLER
taz: Frau Kamensek, wir kommen nicht um das Frauenthema herum.
Karen Kamensek: Warum nicht?
Weil das niedersächsische Kulturministerium in seiner Pressemitteilung als zweiten Satz schreibt: Mit Karen Kamensek „wird in der 374-jährigen Geschichte des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover erstmals eine Frau an der Spitze von Niedersachsens größtem Klangkörper stehen“. Nervt Sie die große Aufmerksamkeit für Ihr Geschlecht?
Jein. Dass eine Frau auf diesem Posten außergewöhnlich ist, muss man zur Kenntnis nehmen. Aber es ist nicht das Besondere an dem Job, dass ich eine Frau bin. Es gibt nicht so viele offene Generalmusikdirektoren-Stellen in Deutschland. Ob die von einem Mann oder einer Frau besetzt sind, ist egal. Derjenige, der geeignet ist, sollte es machen.
Woran liegt es, dass es so wenige Frauen in diesem Beruf gibt?
Wie in jedem anderen Beruf entscheiden sich die Frauen selber dafür oder dagegen. Grundsätzlich ist der Beruf von Frauen zu machen. Aber es ist kein einfaches Leben und keine einfache Aufgabe. Nicht jede Frau will sich das antun.
Warum?
Es kann sehr schwierig sein, im Musikbereich ein Familienleben zu haben, wenn man zwei Drittel des Jahres unterwegs ist und noch schwerer ist es in diesem Beruf. Simone Young und einige andere Kolleginnen haben es geschafft. Aber ich bisher nicht. Das liegt wahrscheinlich an der Generation. Ich bin eine Generation unter derjenigen, die den Durchbruch für Frauen geschafft hat. Mein Gefühl ist, dass meine Generation zuerst auf die Karriere schaut und die Überlegung, eine Familie aufzubauen später kommt als noch vor 20 Jahren.
Was mögen Sie am Dirigieren?
Der Reiz ist, Musik zu machen, indem man die Musiker zusammenbringt und mit den verschiedenen Instrumenten und Klangfarben arbeitet. Dabei muss man die Musiker führen. Man muss es üben, eine Führungskraft zu sein. Nicht jeder hat das von Natur aus. Aber jeder, der den Dirigenten-Beruf ausüben will, braucht das. Ich bin da gelandet, weil ich diese Führungspersönlichkeit habe.
Wann hatten Sie denn diesen Berufswunsch zum ersten Mal klar vor Augen?
Mit elf Jahren.
Wie haben Sie mit elf Führungsqualität bewiesen?
Ich habe zu Hause Puppenspiel-Vorstellungen organisiert, ohne dass meine Mutter etwas davon gewusst hat. Und wir haben in der Musikschule immer Streichquartett gemacht. Obwohl ich die zweite Geige gespielt habe, habe ich allen anderen erklärt, wie es gehen soll.
Wann fingen Sie mit dem Dirigieren an?
Auf der Highschool hatten wir ein wunderbares Musikprogramm. Seit meinem 12. Lebensjahr hatte ich jeden Tag Orchesterproben auf der Highschool. Außerdem habe ich einen Chor geleitet und Stimmproben gemacht. Das gibt es nicht überall in Amerika. Die Lehrer haben mich gefördert.
Nach der Highschool mussten Sie überlegen, wie Sie ihren Berufswunsch verwirklichen können in einem Land, in dem die Oper ein Nischendasein fristet. Was haben Sie unternommen?
Ich war erst 17, als ich mit High School fertig war, weil ich ein Jahr übersprungen und mit fünf begonnen hatte. Ich habe gesagt: Dann muss ich jetzt wohl am College einen Klavier-Abschluss machen. Das war ganz selbstverständlich. Es ging einfach weiter von der High School in eine größere Schule, die etwas mit Musik zu tun hat. Ich habe schließlich auch auf der High School nichts anderes als Musik gemacht.
Mit 17 an die Uni?
Ob das eine gute Entscheidung war, weiß ich nicht. Man merkt, dass man emotional noch nicht so weit ist. Im Nachhinein wünsche ich mir, ich hätte mir mehr Zeit genommen. Obwohl ich auf eine gewisse Art schon spät dran bin, wenn man sieht, was gerade in der Dirigenten-Szene losgeht: Je jünger man ist, desto besser ist man unter dem Gesichtspunkt des Marketing. Für mich wäre das der Tod gewesen.
Sie haben nach dem Klavier-Studium einige Jahre bei Dennis Russell Davies assistiert und haben dann an der Indiana University Ihren Masters in Dirigieren gemacht.
Es hat lange gedauert, bis ich nach Europa gekommen bin. Mein Manager würde sagen: Fünf Jahre zu spät. Aber ich bin erst mal in New York gelandet und habe da gearbeitet.
Wie kam Ihr Engagement an der Wiener Volksoper zu Stande?
Ich habe Simone Young assistiert, dabei hat mich ihr Manager gesehen. Ich habe ihm gesagt: Ich bin fast 30, ich komme nicht weiter, die Karriere bewegt sich nicht. Egal, wie viele Bewerbungen oder Probedirigate ich versuche. Ich dachte damals: Jetzt muss ich etwas anderes machen. Aber was? Ich habe viele Interessen, aber die habe ich nie weiterverfolgt. Ich habe dem Manager gesagt: „Ich werde nach der letzten Assistenz mit Frau Young aufgeben, wenn Sie mir nicht helfen.“ Dann hat er gesagt: „Schaun wir mal.“ Er hat mir ein Probedirigat arrangiert an der Volksoper in Wien. Der Manager hat zu mir gesagt: „Wenn Du versagst, wird Dein Name sofort vergessen. Und wenn nicht, dann machen wir weiter.“ Er und ich sind jetzt seit zehn Jahren Business-Partner und mittlerweile lachen wir darüber.
Über Ihre erste Kontaktaufnahme zu Simone Young heißt es, Sie hätten Frau Young nach einem Konzert angesprochen mit den Worten: „Wenn Sie eine Assistentin brauchen, dann bin ich das.“ Stimmt die Geschichte?
Die Geschichte stimmt. Aber sie wird immer intensiver ausgemalt. Die Hauptsache dabei ist: Ich war frech und habe auf sie nach einer Vorstellung am Bühneneingang der Metropolitan Opera in New York gewartet.
Was sagte Frau Young darauf?
Ich glaube, sie war ein bisschen schockiert. Wir haben uns auf einen Kaffee getroffen und sie hat eine Videokassette von mir gekriegt. Es hat dann drei Jahre gedauert, bis sie geantwortet hat, das war dann im Sommer 1999. Noch im selben Herbst habe ich ihr assistiert und im Juni 2000 bin ich nach Wien umgezogen.
Was würden Sie jungen Kollegen raten, die Dirigenten werden wollen?
Es ist schwierig, reinzukommen. Man muss assistieren, das ist der beste Weg. Wenn man aus der Hochschule kommt mit Anfang 20, dann ist man noch nicht reif genug.
Woran misst sich die Qualität eines Dirigenten?
Er braucht sicher einen Rhythmus, den er körperlich zeigen kann. Er muss alles zusammenhalten, braucht Führungskraft, wenn die disziplinarischen Sachen losgehen. Jeder im Orchester ist ein Künstler und hat seine Idee, wie das Stück klingen soll. Aber einer ist halt verantwortlich, dass alles zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenkommt. Gute Ohren helfen dabei. Handwerk hilft. Es soll am Ende etwas Besonderes entstehen und nicht nur einfach ein Stück durchlaufen.
Wie gewichten Sie den Team-Gedanken?
Der ist sehr wichtig. Das kenne ich aus meiner Kindheit in Amerika: We can do it together! Das ist das Grundprinzip von Amerika. Ich arbeite gerne in einem Team und bemühe mich, dass sich jeder wichtig und anerkannt fühlt. Auch wenn sicher manche sagen würden, das stimme so nicht. Manchmal ist es hart, Entscheidungen zu treffen. Derjenige da vorne ist für mindestens 60 Prozent der Motivation verantwortlich.
Wie hoch ist der Anteil des Dirigenten am Endergebnis?
Dirigenteneinfluss, das ist wie eine Ehe. 50-50 sollte es sein, aber manchmal trägt eine Person die Ehe mehr, als die andere. Das ist immer im Fluss.
Was ist charakteristisch für Ihre Interpretationen?
Es gibt nur bei mir nur Tendenzen: Ich bin ziemlich flott mit meinen Tempi und ich mag Energie, ich mag rhythmische Entwicklung.
Schwerpunkte in Ihrem Repertoire …
… entwickeln sich langsam. Früher war es durch meine Arbeit mit Davies mehr die Moderne. Jetzt mache ich gerade eine französische und eine Mozart-Phase durch. Ich habe großes Interesse an Strauss und Wagner. Aber auf die Frage: „Wer ist Dein Lieblingskomponist?“, muss ich sagen: „Der, der gerade auf dem Pult liegt.“
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