: Träumen in der Zwielichtzone
Vorschusslorbeeren aufgebraucht: Die neue Spielstätte Ballhaus Ost eröffnete mit drei Inszenierungen. Inhaltlich muss noch weitergedacht und an der formalen Überfordertheit gearbeitet werden – das wäre ganz im guten Sinne des Werkstatthaften
VON ESTHER SLEVOGT
Es war die wahrscheinlich meist gehypte Eröffnung einer neuen Spielstätte der letzten Jahre. Die erste Runde geht deshalb haushoch an den Kunst- und Kultur-Vermarktungsspezialisten Felix Schnieder-Henninger, der den Rumor vom neuen Ballhaus Ost so virtuos über der Stadt zerstäubte, dass fast jede Zeitung seinem Duft in Form von langen Aufmachertexten erlag. Sogar der Spiegel brachte ein kleines Interview mit der mitbegründenden Schauspielerin Anne Tismer, dem prominenten Zugpferd des Unternehmens und sonst (unzufriedener) Star von Thomas Ostermeiers gefeierter „Nora“-Inszenierung an der Schaubühne.
Den Weg zum Ballhaus in die Pappelallee findet man nach all den Vorschusslorbeeren deshalb fast mit geschlossenen Augen. Und eigentlich möchte man die Augen gar nicht mehr öffnen und weiterträumen, was uns das Berliner Feuilleton so schön vorgeträumt hat: den Traum von den kreativen und wagemutigen jungen Leuten, die ganz ohne Geld in einer verwunschenen Spielstätte ein Theater gründen.
Die Atmosphäre in dem alten Gebäudekomplex passt dazu: Das Ballhaus wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen. Marodes Flair in den vorderen Räumen. Ein langer Flur, der ins Innere führt und wie eine Art Zeittunnel funktioniert. Man weiß plötzlich nicht mehr, welche Epoche hier gerade zu Ende ging. War es die DDR oder am Ende sogar noch die Nazizeit? So fügt sich die Geschichte der Maria Braun, mit der die Spielstätte in der letzten Woche eröffnet wurde, zunächst noch ausgesprochen stimmig in diese historische Twilight Zone.
Es beginnt mit der hastigen Hochzeit von Maria und Herrmann Braun mitten im Krieg. Hermann muss sofort an die Front, und bald hält man ihn für tot. Die amerikanischen Besatzer füllen das deutsche Männerdefizit nach 1945 – bei Maria sorgt ein schwarzer GI für Ersatz. In schnellen, atmosphärischen Bildern schmelzen die beiden Regisseure Uwe Moritz Eichler und Philipp Reuter Szenen aneinander, die sie aus Fassbinders berühmtestem Melodram destilliert haben. Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus der Ballhausarchitektur selbst samt getäfeltem Wandpaneel und Spiegelwand. Ein Baugerüst signalisiert Aufbruch. Die Kriegsbraut Maria, die sich aus Prostituiertenbars zur „Mata Hari des Wirtschaftswunders“ hochschläft und der Bundesrepublik von Fassbinder einst wie ein Spiegel vorgehalten wurde, wird von Anne Tismer gespielt – erst kindfrauhaft, dann immer hektischer rauchend und autistischer spielend. Man fürchtet gelegentlich, dass die Zeitverläufe aus Maria Braun einen Fall für die Psychiatrie machen könnten.
Trotz enormem Körperereinsatz und beeindruckenden Turnübungen am Baugerüst wird aber nie so recht klar, was Tismer und ihre Regisseure an Stoff und Figur eigentlich interessiert. Dabei hätte man ganz gern verstanden, weshalb gerade die Nazizeit, die auch das inhaltliche Gravitationszentrum des zweiten Ballhaus-Abends, der Revue „Don’t cry for me, Adolf Hitler“ ist, so geballt am Anfang dieser neuen Spielstätte steht. Inhaltlich wirkt dieser Schwerpunkt eher undurchdacht. Formal wird schnell die Überforderung deutlich, die klassische Schauspielprojekte für freie Spielstätten in der Regel darstellen, wenn sie nicht von einem radikalen Stilwillen oder einem zwingenden inhaltlichen Ansatz durchdrungen sind.
Der Tanzabend „No. He was white“, Teil drei der Eröffnungsstaffel, macht klar, dass die Stärke des Ballhauses eher im Werkstatthaften liegt. Das Quartett aus zwei isländischen Tänzerinnen, der Schweizer Schauspielerin Rahel Salvoldelli und Anne Tismer zeigt eine erfrischende Etüde über vier weiße Lagerarbeiterinnen, die zwischen Pappkartons plötzlich in Erinnerungen schwelgen, getragen vom Blues und von anderen Musikerlebnissen. Den Titel verdankt der Abend einem Freund, der seine Plattensammlung akribisch in „weiße“ und „schwarze“ Musik unterteilte und dabei Jimi Hendrix das Prädikat „weiß“ verlieh. Der leicht raubeinige Proletariercharme der getanzten Figuren und ein ironischer Umgang mit dem anstrengenden Bewegungsrepertoire geben dem Abend eine besondere Würze.
Nächste Termine: „Don’t cry for me, Adolf Hitler“: 24./25. 2. „Die Ehe der Maria Braun“: 26. 2.Infos: www.ballhausost.de
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