: I wanna be where the boys are!
ROLLENMODELLE Die Ausstellung „ShePOP – Frauen. Macht. Musik!“ im Rock-’n’-Pop-Museum Gronau erzählt Musikgeschichte aus weiblicher Sicht und abseits des Mainstreams
VON CARLA BAUM
Natürlich gibt es sie, die Frauen in der Popmusik. Man muss nicht lange nach ihnen suchen. Sie pflastern die Wände von Teeniezimmern, ihre Stimmen ertönen, wenn man das Radio anmacht, sie füllen Konzerthallen und spielen Klavier – ja, und E-Gitarre? Schlagzeug? Bass? An dieser Stelle setzt meistens die feministische Kritik an: Indierockbands voller Kerle! Nur Pimmel hinterm DJ-Pult! Frauen dürfen höchstens sinnliche Balladendiven, sexy Vamps oder nette Singer-Songwriterinnen sein. Es tut sich eine Thematik auf, die reichlich Stoff für Podiumsdiskussionen, Seminarräume und abendliche Tresengespräche bietet. Für eine Ausstellung aber scheint sie sperrig: Wie präsentiert man all die nichtvorhandenen Frauen in Musikbusiness und -geschichte?
Die Ausstellung „ShePOP – Frauen! Macht! Musik!“ hat eine simple Antwort darauf gefunden: Indem sie abbildet, dass Frauen sehr wohl Teil des Pop sind und es immer schon gewesen sind – und zwar nicht nur als marktkompatible Sexobjekte, sondern in allen erdenklichen Posen und Positionen.
„Frauen waren selbstverständlich präsent im Musikbusiness,“ sagt Missy-Magazin-Mitgründerin Sonja Eismann, die die Ausstellung kuratiert hat. „Man muss sie nur sichtbar machen.“ Denn durch männlich geprägte Archivierungs- und Erinnerungsprozesse gehen Frauen in der Musikgeschichte oft unter. Pop an sich durch eine „weibliche“ Perspektive neu zu lesen, ist deshalb das formulierte Anliegen der Ausstellung, die sich thematisch in die drei Bereiche Vor, Auf und Hinter der Bühne gliedert.
Kampf der Mädchen um Daseinsberechtigung
Vor allem auf der Bühne scheinen heute mit wenigen Ausnahmen dank Castingshows und Reality-TV nur ganz bestimmte Frauentypen selbstverständlich zu sein: Der sexy Popstar mit knappen Kostümchen à la Christina Aguilera oder die authentische Göre von Nebenan à la Lena Meyer-Landrut.
Auf der Bühne im Gronauer Ausstellungsraum aber röhrt die Stimme von Joan Jett, Sängerin und Gitarristin der kalifornischen Frauen-Hardrockband The Runaways und Vorbild für alle Riot Grrrls aus dem Kopfhörer: „I wanna be where the boys are! I wanna fight how the boys fight!“
Unbedingt dort sein zu wollen, wo die Jungs sind, war lange Zeit der einzige Weg für Mädchen und Frauen, sich abseits hysterischer Fans eine Daseinsberechtigung im Musikgeschäft zu erkämpfen.
So erzählt die Berliner Musikerin Bernadette La Hengst als „Talking Doll“, eine Art sprechende Silhouette, wie sie über ihren älteren Bruder und dessen Plattensammlung selbst zum Musikmachen kam. Auch die Berliner Musikerin und DJ Gudrun Gut, Gründerin der NdW-Band Malaria und Labelchefin von Monika Records steht als Silhouette im Ausstellungsraum und berichtet, dass sie im Haushalt die Vaterrolle übernommen und Glühbirnen ausgewechselt habe. Die Mädchen traditionell anerzogene Angst vor der Technik einmal abgelegt, war ihr Schritt zum Bass und zum Keyboard nicht mehr so weit.
Auf den ersten Blick scheint sich auf diesem Gebiet seit den Achtzigern viel getan zu haben. Heutzutage mangelt es nicht mehr an weiblichen Rollenmodellen in der Popmusik. Viele von ihnen spielen mit heterosexuellen Normen und klassischen Gendervorstellungen – so etwa die Trashpop-Diva Lady Gaga, die bei den Video Music Awards als Drag King auftritt. Oder die R&B-Sängerin Beyoncé, die in ihren Songs weibliches Empowerment besingt. Auch Madonna knutscht öffentlich mit Britney, und Rihanna stellt in ihren Songs sexuelle Forderungen an die Männerwelt: „Come here rude boy, boy, can you get it up!“
Doch die Existenz der weiblichen Popstars ist eine ambivalente. Sie sind Kunstfiguren, unmenschliche „Körperpanzer“, wie es die Wissenschaftlerinnen Birgit Richard und Katja Gunkel im Ausstellungskatalog benennen. Aber Millionen von jungen Mädchen dient ihre Version eines sexy Körpers, der sich dem männlichen Blick auf der Bühne präsentieren kann, als reale Vergleichsscheibe. „Dadurch sind Frauen besonders im Mainstream-Musikbiz immer noch spezifisch positioniert“, sagt Eismann.
Solche Aspekte erschließen sich weniger durch die Exponate, die eher auf Erfahrbarkeit angelegt sind, als durch die Katalogtexte, die mit dem Know-how des KuratorInnenteams der Universitäten Paderborn und Oldenburg ausgewählt wurden. Dort finden sich Beiträge zur Avantgarde der Poptheorie und Beispiele des Popjournalismus. Von Diedrich Diederichsen etwa ein Text über Drag im Pop, von Rosa Reitsamer ein Essay über Produzentinnen elektronischer Musik. Auch Gudrun Gut spricht im Interview über die Notwendigkeit von Do-it-yourself beim Labelmachen.
Die sehr sehenswerten, im Ausstellungsraum aber im Gewusel der Eindrücke manchmal fahrigen Bilderstrecken sind im Katalog abgedruckt, wie etwa eine Fotoserie von Tina Bara, die in den achtziger Jahren Hinterhofkonzerte in der DDR fotografierte.
Die Tiefe und Klarheit des Katalogs lässt der Ausstellungsraum leider vermissen. Dort droht Gefahr, dass sich die Besucher in den vielen Videos und interaktiven Elementen verlieren. Auch thematisch gibt es keinen Fokus auf eine bestimmte Epoche oder Musikrichtung, wodurch leicht der Eindruck eines großen Mit- und Durcheinanders entsteht.
Thomas Mania, der Kurator des Rock-’n’-Pop-Museums, erklärt die Entscheidung für die Fülle an gezeigten Eindrücken mit dem Aufruf, der in dem doppeldeutigen Untertitel „Frauen. Macht. Musik!“ steckt: „In der Ausstellung soll vor allem ein Zugang zur Musik geschaffen werden. Das Beste wäre es, wenn ein Mädchen, das die Ausstellung besucht hat, zu Hause einfach eine Gitarre in die Hand nimmt.“
Denn es ist vor allem der entscheidende Schritt vom Fan zum Selbermachen, der Sprung auf die Bühne, den viele junge Frauen im Gegensatz zu ihren männlichen Freunden immer noch scheuen. Sonja Eismann zitiert hierzu die Musikwissenschaftlerin Mavis Bayton: „Male fans buy a guitar, female fans buy a poster.“
An Bock fehlt es den Mädchen nicht, wie eine aktuelle Studie über das Medienverhalten Jugendlicher zeigt. Daraus geht hervor, dass Musik bei weiblichen Teenagern sogar eine größere Rolle spielt als bei den Jungs. Ähnlich wie die weltweit boomenden Girls-Rock-Camps, in denen Mädchen an E-Gitarre und Co. herangeführt werden, setzt „ShePOP“ an diesem Punkt an. Und könnte so als Ausstellung im besten Fall ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, Bock in Tatendrang zu verwandeln.
■ „ShePOP – Frauen. Macht. Musik!“, Bis 8. September, Rock-’n’-Pop-Museum Gronau, Katalog 17,95 Euro
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