: Unbekanntes Ehrenamt
MONOKULTUR Der freiwilligen Feuerwehr in Niedersachsen gehen die Mitglieder aus, auch wenn die Nachwuchswerbung gut läuft. Nach wie vor selten sind Feuerwehrleute mit Migrationshintergrund
VON TERESA HAVLICEK
Fürs Foto darf Antonio sogar ans Funkgerät, oder wenigstens den Hörer ans Ohr halten. Auf dem Fahrersitz des Transporters sitzt Patrick Lutze, zweiter Stadtjugendfeuerwehrwart von Hannover, und blickt etwas skeptisch drein. Eigentlich ist die Einführung ins Funken eine eigene Übungseinheit für den Feuerwehrnachwuchs. Beim Zeltlager der Jugendfeuerwehr im Harz aber darf Antonio nun den Funker spielen, in voller Montur mit Latzhose, schwerer Jacke, orangefarbenem Helm und festen Lederhandschuhen.
Bei der Jugendgruppe Hannover-Linden ist Antonio seit über zwei Jahren dabei. Zwei Mal im Monat kommt er zu den Treffen mit Theorieunterricht und Einsatzübungen in die Lindener Wache. Das Zeltlager auf der Liegewiese des Freizeitbads Vitamar in Bad Lauterberg ist schon seine dritte Feuerwehrfahrt.
Ein Freund hatte Antonio zur Nachwuchsorganisation der freiwilligen Feuerwehren mitgenommen. „Vorher wusste ich gar nicht, dass es so etwas gibt“, sagt der 16-Jährige. Auch seine Eltern, die aus Spanien stammen, kannten die freiwillige Feuerwehr nicht, bis Antonio sie für sich entdeckte.
Wie Antonios Eltern sei der Aufbau der Feuerwehr in Deutschland vielen Migranten schlicht nicht bekannt, sagt Bernd Dahle, Bildungsreferent bei Niedersachsens Landesverband der Jugendfeuerwehr (JF). EU-weit gibt es nur noch in Österreich freiwillige Feuerwehren. Überall sonst sind die Feuerwehren staatliche oder militärische Einrichtungen. Die Unbekanntheit ist nur einer der Gründe, die Dahle für die Unterrepräsentanz von Migranten bei der Feuerwehr anführt.
Knapp 125.000 Mitglieder hat Niedersachsens freiwillige Feuerwehr, Stand Ende 2011. Das sind gut 2.000 weniger als ein Jahr zuvor. Noch seien die Feuerwehren gut aufgestellt, langfristig aber sind Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft gefährdet, warnte im vergangenen Jahr der Feuerwehr-Jahresbericht. Bis 2050 werde die Mitgliederzahl auf 107.000 sinken.
Entsprechend groß ist das Werben um den Nachwuchs. Offenbar mit Erfolg: Dort steigen die Mitgliedszahlen, besonders seit die JF 2010 neben den Jugendfeuerwehren für Zehn- bis 16-Jährige auch Kinderfeuerwehren für Sechs- bis Zehnjährige in den Verband aufgenommen hat. Fast 39.000 Mitglieder sind es bei den Kinder- und Jugendfeuerwehren derzeit landesweit. Migrantische Jugendliche wie Antonio sind dennoch die Ausnahme: Gerade mal 170 der Kinder- und Jugendfeuerwehrleute haben laut der offiziellen Statistik der JF einen Migrationshintergrund.
„Es sind viele Hemmschwellen abzubauen“, sagt Dahle und verweist auf eine Studie, die Niedersachsens Innenministerium 2009 erstellen ließ: Demnach spielen die freiwillige Feuerwehr und ihre Nachwuchsorganisationen in der Lebenswelt migrantischer Jugendlicher kaum eine Rolle. Zudem werden sie mit traditionell deutschen Institutionen wie Heimat- und Schützenvereinen sowie ausgeprägtem Alkoholkonsum verbunden.
„Picheln“, sagt Hannovers Vize-Stadtjugendfeuerwehrwart Lutze, „das gibt es nur in Geschichten von früher.“ Beim Zeltlager in Bad Lauterberg sind Alkohol und Zigaretten für die Jugendlichen tabu. Die Betreuer ziehen sich zum Rauchen in die „kinderfreie Zone“ zurück, einen Container am Rande des Camps, blickdicht abgetrennt mit einem Tarnnetz. „Wir haben hier eine Vorbildfunktion“, erklärt Lutze.
Wie gut es gelingt, migrantischen Nachwuchs zu gewinnen, liege an jeder einzelnen Feuerwehr-Ortsgruppe, an jedem einzelnen Betreuer, sagt JF-Referent Dahle. „Wir geben auf Verbandsebene jegliche Unterstützung.“
Schon 2010 hat sich der Verband die interkulturelle Öffnung in die Leitlinien geschrieben, für Funktionsträger gibt es ein spezielles Fortbildungsprogramm. Um Migranten wird mit mehrsprachigen Flyern und Imagefilmen geworben. Viel hänge aber auch vom Kontakt der Feuerwehr mit Migrantenverbänden vor Ort ab, sagt Dahle. Er sieht vor allem „Kommunikationsdefizite“, die nur ausgeräumt werden könnten, „wenn man miteinander spricht“.
Für Jugendfeuerwehrwart Lutze ist das selbstverständlich, wie er sagt. Ebenso wie es selbstverständlich sei, dass es Lunchpakete beim Zeltlager im Harz auch fleischlos gibt, für Vegetarier und Muslime. „Da müssen wir drauf achten.“ Der 24-Jährige ist Erzieher, hauptberuflich arbeitet er in Hannover-Linden in der Kinder- und Jugendarbeit. „Brennpunktarbeit“, sagt er. „Ich kenne die Voraussetzungen, vom Essen bis zur Kultur.“
In Linden, wo Lutze bis vor Kurzem die Jugendgruppe leitete, habe sich das „rumgesprochen“: 14 Jugendliche aus sechs Nationen gehören derzeit dazu, unter anderem mit türkischen, brasilianischen, libanesischen und, wie Antonio, spanischen Wurzeln.
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