: Eine Grenze ziehen
Die Generation Praktikum schlägt zurück: Der Verein Fairwork fordert einen Mindestlohn für Absolventen, die DGB-Jugend ruft zum Praktikantenstreik
VON ULRIKE SCHATTENMANN
Manu, abgeschlossenes BWL-Studium, staunte nicht schlecht über das Feedback auf ihre Bewerbung bei einem Discounter. Vor Beginn ihrer Tätigkeit als Filialleiterin sollte sie erst mal einen Monat lang ein unbezahltes Praktikum absolvieren – um zu testen, ob sie die Arbeit körperlich durchhält. „Tja, und das hieß: von sechs bis 21 Uhr arbeiten, so gut wie keine Pausen und nur Regale auffüllen“, schreibt sie im Online-Forum von Fairwork e. V. Drei Tage hält Manu die Schufterei durch, dann gibt sie entnervt auf.
Diplomierter Dauerpraktikant, unterbezahlt und ohne Aussicht auf einen festen Job – solche Karrieren sind heute keine Seltenheit. Die Hochschul-Informations-System GmbH in Hannover befragt gerade 10.000 Absolventen des Prüfungsjahrgangs 2005 zu diesem Thema. Genaue Zahlen gibt es noch nicht, aber die Tendenz ist klar: „Immer mehr Absolventen landen erst mal in einer prekären Beschäftigungssituation. Darunter ist der Anteil der Wirtschaftswissenschaftler besonders hoch“, sagt Karl-Heinz Minks, Leiter der Projektgruppe Absolventenuntersuchungen.
Auf Unternehmerseite ist man sich dieses Problems durchaus bewusst. „Jedes Jahr kommen auf 6.000 Absolventen 3.000 Stellen“, sagt Olaf Bahner, Sprecher des Architektenverbandes. „Das erklärt den Praktikantenboom, entschuldigt aber nicht die Tatsache, dass fertig ausgebildete Architekten für einen Hungerlohn arbeiten.“ Ist die Nachfrage groß, sinkt der Preis. Doch müssen sich deswegen Absolventen unter Wert verkaufen?
Nein, sagt Frank Schneider von Fairwork. „Kein Berufsanfänger ist perfekt. Aber nach dem Studium ist kein Praktikum mehr nötig. Und wenn ein Absolvent regulär arbeitet, dafür aber nur gering oder im extremsten Fall gar nicht bezahlt wird, ist das Ausbeutung.“ Es sei eine Mär, dass man über einen Praktikumsplatz in eine Vollzeitbeschäftigung rutscht. Im schlimmsten Fall schuftet man nicht nur für lau, sondern verdirbt auch noch die Preise. Unternehmen sparen sich eine Vollzeitstelle, weil sich für wenig Geld hoch qualifizierte Diplomanden und Magister die Klinke in die Hand geben. Der Dauerpraktikant als Jobkiller.
Fairwork wurde vor über einem Jahr von Betroffenen gegründet. Binnen kurzem zählte der Verein 150 Mitglieder – eine überwältigende Resonanz. Fairwork will das Thema der Praktikanten-Abzocke öffentlich machen, ein Forum für Leidtragende schaffen, informieren. Mit Erfolg: Plötzlich interessieren sich die Medien für die akademischen Billigarbeiter. Doch Fairwork will auch auf politischer Ebene Einfluss nehmen. Stichwort Mindestlohn. Sollte den die Regierung tatsächlich einführen, will Fairwork für die Praktikanten kämpfen. Gesetzlich garantierte 800 Euro Lohn soll für Akademiker-Praktika drin sein.
Unterstützt wird das Anliegen von der Gewerkschaftsjugend des DGB. „Achte darauf, dass der Lerneffekt im Vordergrund steht. Ist ein freiwilliges Praktikum bezahlt, hat ein Student Rechte wie jeder andere Arbeitnehmer auch: Urlaub, feste Arbeitszeiten, regelmäßige Pausen. Das wissen viele nicht“, rät Andreas Schackert Studenten, die ein Praktikum machen – während oder nach der Uni. Er ist Online-Berater der Gewerkschaftsjugend und stolz auf die Datenbank, in der ehemalige Praktikanten ihre Erfahrungen veröffentlichen – gute wie schlechte. „Natürlich können wir nicht ausschließen, dass hier auch mal ein Ehemaliger die Firma schlecht machen will“, räumt er ein. Aber die über 300 Eintragungen geben wohl eine ehrlichere Einschätzung über Betriebsklima und Qualität der Arbeit in Unternehmen als die Aktion „Fair Company“, die 2004 von der Zeitschrift Junge Karriere ins Leben gerufen wurde. Das Magazin verleiht seit Oktober 2004 ein Praktikanten-Gütesiegel an Unternehmen. „Das ist reine Selbstverpflichtung. Niemand kontrolliert, ob die Vorgaben auch jemand einhält“, kritisiert Schackert.
Doch was tun, wenn man bereits im Praktikum steckt und feststellt, dass man ausgebeutet wird? Erst mal das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen, meint Schackert. Wer unzufrieden ist, muss den Mund aufmachen. Sollten Verhandlungen nichts nützen, sind radikale Entscheidungen gefragt. Einfach gehen, so wie Manu. Im Extremfall vor Gericht. Das tun die wenigsten. Die Angst, den Job oder wenigstens die Aussicht darauf zu verlieren, ist zu groß. Mehr Selbstbewusstsein, mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das wünschen sich Fairwork und Gewerkschaft gleichermaßen. Nicht alles mitmachen, auch mal Nein sagen. Bald ist Gelegenheit dazu: Am 1. April ruft die Gewerkschaftsjugend zusammen mit anderen europäischen Organisationen zum ersten internationalen Praktikantenstreik auf.
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