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Winke, winke mit Berliner Bär

TOURISMUS Es gibt Orte in der Stadt, an denen die Touristen ganz unter sich sind: Am Brandenburger Tor etwa verdienen Slowaken als historisch-pittoreske Fotomodelle ihr Brot: „Your foto-postcard in one minute!“

Der Pariser Platz an einem Montagnachmittag. Sonnenstrahlen verleihen der Quadriga auf dem Brandenburger Tor majestätischen Glanz. Eine prima Fotokulisse für die Touristengruppen, die mit Handys und Digitalkameras in der Hand auf der Suche nach dem perfekten Motiv über den Platz laufen. Der beste Standort in der Platzmitte ist allerdings schon belegt. Eine lebende Fotokulisse aus zwei mit Messingpatina bepinselten Sowjet- und DDR-Soldaten, zwei Frauen in Armeeuniform und einem Berliner Bären mit Schärpe wartet auf Kundschaft. Erregt bleibt ein älterer Herr mit Morgenpost unterm Arm vor dem Ensemble stehen und zischt: „Was soll dieser Geschichtsschwachsinn? Wer die echten Flintenweiber an der Zonengrenze kennengelernt hat, der findet diese Kostümmädchen hier nicht lustig!“ Die Angesprochenen zucken fröhlich mit den Schultern. „Sorry, only English“.

Die Truppe kommt aus der Slowakei. Die jungen Frauen finanzieren mit der DDR- und Sowjetkostümshow ihr Studium, die Soldaten und der Bär sind schon länger im Tourifotogeschäft. Genau wie der Mann mit Zylinder, der mit einer Kamera um den Hals Touristen heranwinkt. „Your foto-postcard in one minute! Souvenir!“

Bei jedem neuen Kunden handelt der Fotomann den Preis neu aus. Er hat keinen Gewerbeschein, dafür aber einen Drucker im Köfferchen, der unter augenzwinkerndem „Abrrrakadabrra“ des Besitzers Bilder ausspuckt: Japaner mit feierlichem Gesichtsausdruck, Schülerinnen in Umarmung mit dem Berliner Bären, ganze Familien. „Für alle was dabei“, erklärt Marek (Name geändert) das Erfolgskonzept seiner Truppe: Frauen und Kinder liebten das Bärchen, Männer die Soldaten, die feschen Soldatinnen im Rock kämen eigentlich bei allen gut an. Nur Berliner fühlten sich manchmal provoziert vom unbekümmerten Zugriff der Slowaken auf ihre Geschichte. Marek kann das nicht verstehen. „Das ist ein Platz für Touristen“, sagt er. „Und jeder will eben mitverdienen.“

Konkurrenz von der Maus

Wie auf ein Stichwort erscheint ein zweites braunes Plüschtier mit runden Ohren auf dem Platz. Ein Konkurrenzbär? „Das? Ist nur eine Maus“, sagt Marek verächtlich. Verdienen wollen auch drei Romafrauen, die mit dem monotonen Singsang „Excusemespeakiiinglish?“ Runden um den Platz ziehen.

Den einzigen Kontrapunkt zum kapitalistischen Treiben auf dem Pariser Platz bildet an dem Nachmittag eine Freiwilligengruppe des YMCA. Die Jugendlichen wollen Marek unbedingt seinen Zylinder abluchsen. Zum Tausch bieten sie ein weißes Souvenir-T-Shirt mit Brandenburger Tor. „Es fing mit einem Apfel an, den wir gegen einen Kugelschreiber eintauschten“, erzählt ein Junge. „Seitdem gewinnen wir bei jedem Tausch etwas an Wert. Ein Zylinder wäre jetzt das Größte.“ Marek will seinen Hut aber genauso wenig hergeben wie vor ihm der Portier des Adlon. Für beide gehört das antiquierte Accessoire zur Berufskleidung. Als Gegenwert für das T-Shirt bietet Marek ein extrabuntes Gruppenfoto an. Während sich die Gruppe kichernd um den Bären und die Soldateska drängt, entrollt hinter ihnen ein GI-Darsteller eine riesige Amerikafahne – rechtzeitig zur Ankunft einer amerikanischen Schulklasse. Das Geschäft geht weiter. NINA APIN

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