VINTAGE ODER WAS: Hornalter Mantel
Es ist einige Jahre her, dass ich diesen Mantel in einem Secondhandladen in Friedrichshain sah. Er hing an einem Kleiderbügel gleich neben der Eingangstür, und jeder Windstoß fuhr zärtlich in die aufgedruckten violetten Rosen – bis ich den Bügel mit dem Mantel ergriff und anprobierte. Er war wie für mich gemacht. Der Mantel hatte entzückende Dreiviertelärmel, und auch der Rest passte sich perfekt meinem Körper an. Ich war überrascht über den guten Zustand. Nur am Kragen war er etwas speckig. Altersspuren.
Weil ich nirgends im Innenfutter ein Herstellerschild fand, ging ich davon aus, dass der Rosenmantel eine Maßanfertigung für eine modebewusste Dame in den 50er Jahren gewesen sein musste. Seit ich den Mantel erworben habe, werde ich in vielen Secondhandläden auf ihn angesprochen. Auch Frauen auf der Straße fragen, woher ich den Mantel habe. Jedes Mal freue ich mich wie Bolle, dass ich so ein wunderbares Schnäppchen gemacht habe.
Bis ich neulich – mit dem Rosenmantel – an einem Sonntag auf dem Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz war. Während ich bei einem Trödler alte Kleider durchschaute, sprach mich der Verkäufer an. „Wo hast du denn den Mantel her?“ Wie immer erzählte ich begeistert die Geschichte von dem Secondhandladen in Friedrichshain. „Aus den 50er Jahren soll der sein?“, fragte der Verkäufer pikiert. „Der ist von H & M aus Spanien!“ Er rief seine Freundin hinzu, die Spanierin war und seine Angaben bestätigte. Ich hatte Angst, dass die Rosenblüten verwelken könnten und zog den Mantel aus, um zu zeigen, dass es nirgendwo ein Herstellerschild gab. Der Mann zeigte auf einen millimeterdünnen Stoffrest an der Mittelnaht. „Da war das H & M-Schild.“ Ich zog den Mantel schnell wieder an und ging. H & M, niemals! Die beiden Buchstaben stehen in diesem Fall für „Hornalter Mantel“.
BARBARA BOLLWAHN
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