DER DUFT GEGRILLTER HÄHNCHEN BEHERRSCHT DIE SONNENALLEE, DIE PARTY-IRANER MACHEN BESUCH BEI DEN FEIER-HEBRÄERN IM WEDDING: Die Blumen des Orients sind in Bombenstimmung
VON FATMA AYDEMIR UND PANIZ MUSAWI
Wenn sich an einem Freitagabend im Ramadan die Sonne verabschiedet, lebt die Sonnenallee auf: Lautstarke Diskussionen verlieren sich in Gelächter, der Duft von gegrilltem Hähnchen beherrscht die Straße. Eigentlich alles wie immer. Nur dass Familien hinausströmen, um den Iftar, das Fastenbrechen, zu feiern. Wir beide wandern gen Hermannplatz. Einen Gin Tonic haben wir intus, als wir in die tropisch-schwüle U8 steigen. Wir sind auf dem Weg in den Wedding.
Vor einem Plattenbau zwischen Hostel und Baumarkt verrät eine Schlange von jungen, höflichen Menschen den Eingang zum Brunnen70, dem jüngsten Club des ZMF-Betreibers. Rechts davon befindet sich ein weiterer Eingang mit einem Schild: Schule für Arabisch- und Koranunterricht. Kann das Zufall sein? Ein digitaler Flyer hatte uns hierhergelockt. „Meschugge loves Iranians“ hieß es vor dem Hintergrund einer Flagge, die die israelische und die iranische farblich vertauscht, den David-Stern und das „Allahu Akbar“-Emblem der islamischen Republik addiert und als Ergebnis eine in ein Herz gefasste Atombombe errechnet.
Die stadtbekannte „Meschugge“-Party von Aviv Netter aka DJ Aviv without the Tel, die regelmäßig „unkoschere jüdische“ Nächte verspricht, soll an diesem Abend mit „Ghaaty Berlin“ verschmelzen, der selbst ernannten Nummer eins fürs Feiern auf iranische Art. Nach einem kurzen Check werden wir in einen winzigen, ockerfarbenen Raum mit Musik und Lametta-Deko begleitet. Sind wir schon da? Nein, wir befinden uns in einem Fahrstuhl. Mit dabei: ein junger Mann mit „Freedom for Iran“-T-Shirt und hinter ihm die erste israelische Flagge des Abends. Es geht nach unten.
Warme, muffige Luft strömt uns entgegen. Im bunkerartigen Keller angekommen, entdecken wir sie überall: Israelische Fähnchen, Flaggen in unterschiedlichsten Formen und Größen, ersetzen die Tapete im Foyer, trennen die Tanzfläche von einem Anbau, sind überall, belustigen und beängstigen ein wenig. Alte Sofas, Kicker und Röhrenfernseher sind zu einer Art Lounge zusammengezimmert, die Bar wird von Neonleuchten erhellt, und auf der Tanzfläche: ein feiernder Haufen Freaks.
Schwule Männer mit glatt rasierten Oberkörpern und schwule Männer mit Behaarung. Lesbische Frauen, die einander Lapdances geben, Heterofrauen, die in High Heels herumposieren. Eine Dame, ganz in Schwarz mit Sonnenbrille und Cap, tanzt allein und hoch konzentriert zur Hava Nagila, als gäbe sie eintrainierte Tanzschritte zum Besten, beobachtet von der Türkin und der Iranerin, die das Geschehen im Auge behalten.
Lange geht das nicht, da sind wir plötzlich mittendrin. Nun beginnt das Tanzratespiel: „Ist das Hebräisch?“ Ja, wird wohl ein alter Schlager sein. „Ist das persisch?“ Ja, das nennt sich „Tehrangeles“, persischer Pop in der Diaspora, produziert in L. A. „Dokhtare Irani“ (Iranisches Mädchen) heißt ein hübsches Tanzlied von den Black Cats, dann gibt es eine persischsprachige Interpretation von „Disco Partizani“. Der Hit „We no speak Americano“ wird gleich dreimal angespielt: im Original auf Italienisch, dann Hebräisch und schließlich auf Persisch. Es folgen arabische und griechische Arschwackelklänge. Im Zentrum des Geschehens, also hinter dem Pult: Djane Miss Fafa in güldenem Overall und DJ Aviv, ausgestattet jeweils mit Ruhani- und Netanjahu-Pappmaske auf dem Kopf und ziemlich flirty miteinander.
Mächtige Symbole des Nationalismus werden hier überreizt und in einen Karnevalskontext gesetzt. Die Message macht Spaß: Lebenslust und Queerness sind alles, was wir der Politik der Großen unbewaffnet entgegenhalten können. Wir feiern gemeinsam, und hier herrscht tatsächlich Bombenstimmung!
Gebadet in Rauch und Schweiß, beenden wir die Recherche kurz vor Sonnenaufgang. Als wir aus dem Fahrstuhl steigen, verlässt eine Gruppe von bärtigen Männern den parallel fahrenden Fahrstuhl. Einige von ihnen tragen eine sunnitische Kopfbedeckung. Sie grinsen uns weise an.
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