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WIR LASSEN LESENBiografie eines Besessenen

CHRONIST Ronald Reng: „Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga“. Piper, 19,99 Euro

Oft sind es die großen Schweiger, die viel zu erzählen haben. Im pausenlosen crossmedialen Bundesligageschrei findet man sie kaum noch. Wenn also ein Schweiger jenseits des Boulevards auspackt, ist dies fast schon eine Art kleistsches Ereignis. Ronald Rengs jüngst erschienenes Buch über das Leben des Spielers, Trainers und Managers Heinz Höher ist ein solches.

Im Jubiläumsjahr der Liga dokumentiert Reng die Geschichte eines Mannes, der seit 1963 fast immer dabei war. Höher, geboren 1938 in Leverkusen, spielte beim MSV Duisburg und dem VfL Bochum, trainierte danach in Bochum und schließlich den 1. FC Nürnberg. 1988 wurde er kurz Manager bei den Franken, bis es zu einem Zerwürfnis mit Trainer Hermann Gerland kam. Er verschwand und tauchte Ende der 90er als Jugendcoach bei der SpVgg Greuther Fürth wieder auf. Dass sich Reng, der als freier Journalist und Autor arbeitet, für eine „andere“ anekdotenreiche Chronik der Liga abseits der Meisterschaften und Pokalgewinne ausgerechnet Heinz Höher ausgesucht hat, überrascht nicht.

Es ist nicht Rengs erstes Buch, das den Profifußball als tragisches Grundnarrativ für das Leben nutzt. Zuletzt schrieb er 2010 posthum die Biografie von Nationalkeeper Robert Enke.

Allerdings hat, wie sich zu Beginn des Buches anhand eines herrlichen Telefonats zeigt, Höher Reng von dem Buch überzeugt: „Ich muss ihnen das erzählen.“ Hinter den schlichten Worten steckt ein extremer Mitteilungsdrang, der die 475 Seiten eindrücklich füllt. Es ist der Drang eines vom seinem Sport Besessenen. Eines Spielers, der den damaligen Bundestrainer Sepp Herberger faszinierte, den er aber nicht aufstellte. Eines Trainers, der die in Bochum noch heute tief verehrte Elf der 70er Jahre um Ata Lameck, Hermann Gerland taktisch formte und in Nürnberg Mitte der 80er Jahre die erste große, medial prägnante Spielerrevolte überstand. In seiner Zeit als Fürther Nachwuchstrainer entdeckte er zahlreiche Talente. Insbesondere fand er aber in Juri Judt, der später in Nürnberg Profi wurde, einen Musterschüler.

Dem gegenüber stehen die schmerzhafte Unfähigkeit zur gesellschaftlichen Kommunikation und über die Jahre zunehmende Alkoholprobleme. Nach dem Unfalltod von Höhers Sohn im Mai 1990 werden die Probleme zur Suchtkrankheit, die sich bald auch in Immobilienspekulationen und später in Fußballwetten im Netz spiegelt. Eine „andere Geschichte der Bundesliga“ erzählt Reng aber auch deswegen, weil er Höhers Leben mit allerhand Entwicklungsskizzen verknüpft – etwa der des „aktuellen sportstudios“ und der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs. Eigentlich aber schenkt Ronald Reng liebevoll, sprachlich präzise und doch distanziert genug Heinz Höher die Gnade der Betrachtung als große Romanfigur – eines zutiefst zerrissenen Abenteurers, wie sie einst Jack London und Ernest Hemmingway schufen. Wie sich das für einen großen Schweiger gehört. JAN SCHEPER

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